: Volksfest in der Not
PS-Spektakel auf der Aschenbahn zu Schalke ■ PRESS-SCHLAG
Die große Schalker Familie ist in letzter Zeit viel auf Reisen gegangen: nach Solingen, nach Meppen und anderswohin, immer die Hoffnung und bangende Sehnsucht im Herzen, daß ihre Halbgötter in den Klassenerhalt in der zweiten Liga erringen würden.
Der neue Vorstand um den Präsidenten Eichberg und Jungmanager Helmut Kremers machten sich deshalb seit längerer Zeit so ihre Gedanken, wie sie die Auswärtstreue der Schalker Anhänger daheim honorieren könnten. Die Lösung war bald gefunden und ist auf drei Buchstaben zu bringen: M M M, was soviel heißt wie „Mazda macht's möglich“. Der japanische Autohersteller kaufte für 170.000 Mark das Spiel gegen Blau-Weiß Berlin und verscherbelte die Eintrittskarten zu Vorkriegspreisen: für zwei Mark (Stehplätze) bzw. fünfzehn Mark (Sitzplätze).
Auch die Stadt Gelsenkirchen ließ sich nicht lumpen und schenkte ihren zahlreichen Sozialhilfe-Empfängern eine Eintrittskarte, Stehplatz versteht sich. Knapp 70.000 Zuschauer strömten denn auch durch die Tore des Gelsenkirchener Parkstadions.
Bevor aber die Kicker ernsthaft dem Ball hinterherliefen, demonstrierten Balltreter aus glanzvolleren Tagen im Rahmen der Show, daß sie noch nichts verlernt haben. Eine Schalker Traditionself um Stan Libuda und Rüdiger Abramzik, verstärkt durch den Gelsenkirchener Altbarden Erwin Weiß („Wenn dich dein Mäusken beißt“), trennte sich friedlich unentschieden von der Auto-Elf. Das Mazda-Team freilich hatte seinen größten Auftritt an den Lenkrädern der Produktpalette des Konzerns, die sie um die Aschenbahn manövrierten. Für Günther Berend, der eigens per Fahrrad aus Oldenburg zum Schalke-Spiel angereist war, wäre es allerdings fast die letzte Tour gewesen. Seine Triumphfahrt auf dem Drahtesel durch die Schalker Kurven hätte fast unter den Rädern der Sponsoren-Automobile ein schnelles und tragisches Ende gefunden.
Erst die energische Intervention des Stadionsprechers, der die automobilen Raser im Stile eines Verkehrskaspers („Vorsicht, liebe Mazda-Fahrer, in der Nordkurve“) zur Räson rief, vermied ein weiteres Schalker Drama.
Ganz kalt ließ das alles wieder einmal nur einen: Charly Neumann, der populistische Mannschaftsbetreuer, pflantzte seinen Körper eiligst in ein schnittiges Cabriolet und fuhr wie einst der Papst winkend durch das Schalker Stadion. Derweil beteten die Fans im Mittelkreis die Schalker Fahne an, anstatt den japanischen Autos ihre Aufmerksamkeit zu schenken.
Unter keinem guten Stern stand gleichfalls die Verlosung des Autos in der Halbzeitpause, obwohl sich WDR-Reporter Jochen Hageleit als Glücksfee redlich Mühe gab, die Blechkutsche an den Mann zu bringen. Trotz der extra geöffneten Fluchttore fand der Gewinner keinen Weg durch die Massen, um an sein Automobil zu gelangen.
Der Schalker Manager kündigte nach dem Spiel an, daß die Eintrittspreise der nächsten Spielzeit die sonntäglichen kaum überschreiten werden, denn ab nächster Saison macht's bei Schalke die Milch. Die Firma, an deren Obstreis sich bereits die Nationalmannschaft labt, hat sämtliche Heimspiele der kommenden Saison für vier Millionen Mark gekauft.
Torsten Haselbauer
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