Notlager beim Botschafter

■ Schüsse zwangen Lufthansa zum Umzug ihres Büros

Die deutsche Botschaft in Peking mußte sich in den vergangenen Tagen heftige Kritik wegen der schleppenden Evakuierung bundesdeutscher Bürger gefallen lassen. Doch in einer solchen Ausnahmesituation kann nicht alles reibungslos verlaufen. Die Botschaft konnte z.B. nicht alle sich in Peking aufhaltenden Studenten erreichen - schon in friedlicheren Zeiten angesichts der Misere der Pekinger Telefonleitungen ein reichlich schwieriges Unterfangen. So tauchten am Mittwoch abend noch zwei französische Austauschstudenten des Eisen- und Stahlinstituts in der deutschen Vertretung auf und berichteten von einer deutschen Kommilitonin, die in panischer Angst in ihrem Wohnheim sitze (sie wurde dann von Amerikanern in ein Hotel gebracht).

Auch mit den Flugtickets der Studenten gab es ein großes Durcheinander. Dies ist allerdings darauf zurückzuführen, daß am Mittwoch vormittag auf dem Noble Tower, Sitz des Lufthansa-Büros, geschossen wurde. Die Lufthansa-Mitarbeiter mußten innerhalb von fünf Minuten ihre Akten notdürftig zusammenpacken und ins Great-Wall-Hotel umziehen. Dort saßen sie dann ohne Computer und Buchungsunterlagen.

Die Mitarbeiter der Botschaft haben sich im großen und ganzen bemüht. So wurden aus Angst, daß das Militär die Hochschule besetzen könnte, die meisten Studenten, die an der Peking-Uni und am Spracheninstitut studierten, zwei Tage nach den Massakern von den Botschaftsangehörigen in ihren privaten PKWs in einem Konvoi vom Campus abgeholt angesichts der unberechenbaren Reaktionen der Soldaten ein durchaus nicht ungefährliches Unterfangen. Die Studenten wurden zunächst sämtlich in Wohnungen von Botschaftsmitarbeitern untergebracht. Auch in der Residenz des Botschafters selbst wohnten einige. Am Freitag wurden sie schließlich mit einer Maschine der chinesischen Fluggesellschaft ausgeflogen.

Reinhold Wandel