: Das deutsch-sowjetische Dreieck
■ Auf dem beschwerlichen Weg zwischen Moskau und Bonn liegt immer Ost-Berlin
Gorbatschow besucht die Bundesrepublik, drei Tage vorher kam Außenminister Schewardnadse nach Ost-Berlin. In Bonn soll eine „Gemeinsame Erklärung“ über die westdeutsch -sowjetischen Beziehungen verabschiedet werden, in der DDR -Hauptstadt wurde eine „Gemeinsame Mitteilung“ über die ostdeutsch-sowjetische Zusammenarbeit veröffentlicht.
Das deutsch-sowjetische Verhältnis ist ein Dreiecksverhältnis. Was immer zwischen Moskau und Bonn geschieht - die DDR ist mit im Spiel. Was immer zwischen Moskau und der DDR vor sich geht - die Bundesrepublik muß mitgedacht werden. Aber auch was Bonn und Ost-Berlin miteinander beginnen - beide deutschen Staaten müssen dabei Moskau im Auge behalten.
Anderthalb Jahrzehnte lang, von 1955 bis 1970, kam die Bundesrepublik mit der Sowjetunion über diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen kaum hinaus - die DDR stand zwischen ihnen. Bonn verlangte die Wiedervereinigung, also die Aufhebung der DDR, Moskau forderte die Anerkennung der DDR, also ihre Verstetigung. Erst mit der vertraglichen Hinnahme des Status quo durch Bonn, von Brandt und Scheel vollzogen 1970, entwickelte die Bundesrepublik zur Sowjetunion ein politisches und streckenweise gedeihliches Verhältnis. Doch eine gewisse Behinderung durch deutsch -deutsche Probleme blieb. Zum Teil ging es um Berlin, wobei auch die DDR eine Rolle spielte, zum Teil aber verkehrten sich die Schwierigkeiten ins Gegenteil: Früher hemmte die DDR die Beziehungen Bonn-Moskau, dann hemmte Moskau die Beziehungen Bonn-DDR. Bis Gorbatschow das Regiment übernahm, durfte Honecker nicht in die Bundesrepublik zu Besuch fahren.
Für die Sowjetunion begann das Interessenspiel mit zwei deutschen Staaten schon früher. Als die Westmächte 1949 die Bundesrepublik gründeten, einen Weststaat ohne Beziehung zum Osten, da organisierte Moskau seinen Teil Deutschlands als DDR. Als die Sowjetunion diplomatische Beziehungen zu Bonn aufnahm, mit der Einladung an Adenauer im Herbst 1955, da lud sie eine Woche später die DDR-Regierung ein und verlieh ihr ein weiteres Stück Souveränität. Als der Erste Parteisekretär Chruschtschow 1964 das Verhältnis zur Bundesrepublik ausbauen wollte, gab er zuvor der DDR einen Freundschaftsvertrag. Als Chruschtschows Nachfolger Breschnew 1970 mit Bundeskanzler Brandt den Moskauer Vertrag schloß, da mußte er während der Vertragsverhandlungen unablässig Walter Ulbrichts Einwände entkräften und dessen Sorgen beschwichtigen. Als Breschnew bald danach über das Berlin-Abkommen verhandelte, seine Partner waren zwar die Amerikaner, Briten und Franzosen, indirekt aber vor allem Bonn, da begegnete er in Ost-Berlin so hartem Widerstand, daß er schließlich den Hauptopponenten in Pension schicken lassen mußte: Walter Ulbricht wurde abgelöst, erst danach kamen die Verhandlungen über Berlin zum Abschluß. Als Breschnew dann in den siebziger Jahren mehrmals die Bundesrepublik besuchte, geschah das nicht ohne Konsultationen oder wenigstens Information der DDR -Regierung. Ebenso jetzt: Schewardnadse mußte zu Honecker, bevor Gorbatschow zu Kohl fährt.
Bei alledem muß man die Größenverhältnisse bedenken. Die Bundesrepublik ist für Moskau weit interessanter als die DDR für Washington. Wenn Präsident Bush einen DDR-Besuch erwägt, ist das Teil seiner Ostpolitik und auch ein Wink an die Adresse Bonns. Wenn Gorbatschow an den Rhein fährt, dann besucht er einen Staat, der ihm wirtschaftlich und politisch wichtig ist, unabhängig von der DDR. Aber gerade deshalb muß er auf die DDR besondere Rücksicht nehmen, und zwar noch mehr als seine Vorgänger. Denn seit Gorbatschow regiert, hat sich etwas Entscheidendes verändert.
Früher konnte die SED-Führung sich darauf verlassen: Bonn und Moskau machen wirtschaftliche und politische Geschäfte, das kann auch einmal zu Lasten der DDR gehen - aber ideologisch, beim Wesentlichen, da bleiben Russen und Westdeutsche uneins. Früher war sicher, daß die sowjetischen Führer Bonns Beschwerden und Wünsche zur inneren Ordnung der DDR scharf zurückweisen. Auch Gorbatschow wird das tun, trotzdem muß dieser Besuch für das Politbüro in Berlin höchst unangenehm sein. Da sitzen die Schutzmacht der DDR und der deutsche Konkurrent der DDR zusammen und sind sich über die heikelsten inneren Fragen der DDR vielleicht nicht einig, aber doch sehr nahe. Gorbatschow wie Kohl, Vogel und Genscher meinen übereinstimmend, daß der SED-Sozialismus Glasnost und Perestroika braucht. Die DDR-Führung ist nervös, empfindlich und unsicher - um so vorsichtiger muß Gorbatschow sein. Er muß Rücksicht auf einen Staat nehmen, den die Sowjetunion geschaffen hat und an dessen Stabilität sie vital interessiert bleibt, auch wenn ihr Honeckers Methoden, Stabilität zu wahren, nicht mehr recht einleuchten.
Die deutsch-sowjetischen Beziehungen haben sich in den letzten knapp zwanzig Jahren entkrampft und sehr erleichert, aber sie bleiben ein Spiel mit verteilten Rollen, bei dem zwei Partner immer nur mit Rücksicht auf den Dritten zu handeln vermögen. Ändern kann sich das nur in dem Maße, in dem die DDR sich demokratisiert. Die Gegensätze zwischen den deutschen Staaten verringern sich dann und ihre gemeinsamen Interessen gegenüber Moskau vergrößern sich. Bis es dahin kommt, sind auch die deutsch-sowjetischen Beziehungen geteilte Beziehungen - geteilt wie alles in diesem Land.
Peter Bender
Peter Bernder, Dr. phil., Jahrgang 1923, seit 1955 Journalist, exponierte sich lange vor der Brandtschen Ostpolitik in seiner Streitschrift „Offensive Entspannung“ (1964), in der er für die Anerkennung der DDR und die Normalisierung zwischen beiden deutschen Staaten eintrat. Bender ist Autor zahlreicher Bücher zur Ost-West -Problematik.
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