: Deja-vu beim Gorbatschow-Besuch
■ Schon einmal wurden große Hoffnungen an den Besuch des sowjetischen Staatsoberhaupts am Rhein geknüpft
Der Mann, „der innerhalb kurzer Zeit Dinge auf dem europäischen Kontinent in Bewegung gebracht hat, derentwegen man in anderen Zeiten Krieg geführt hätte, ist sicherlich zufrieden nach Moskau zurückgekehrt. Gewinnender kann man sich übrigens (...) den Deutschen nicht präsentieren, als er es in den fünf Tagen seines Besuchs am Rhein getan hat“, schreibt die 'Welt‘. Nein, es handelt sich nicht um den der taz zugespielten vorbereiteten Abschlußkommentar des Springerblatts zum Gorbatschowbesuch: geschrieben wurde das am 23.Mai 1973 anläßlich des ersten Breschnewbesuchs in Bonn. Doch nicht nur bei diesen Zeilen überkommt den Beobachter anläßlich des Gorbatschowbesuchs ein Deja-vu -Erlebnis.
In der Pose des kraftvollen Pioniers deutsch-sowjetischer Beziehungen hatte Leonid Breschnew die deutschen Gastgeber überrannt; daß seine Regierungszeit heute in der Sowjetunion als Stagnationsphase bezeichnet wird, ließ er nicht erkennen. „Wir machen gutes Wetter ohne Ende“, brüstete sich ein energiegeladener Breschnew gegenüber Kanzler Brandt und zeichnete gegenüber deutschen Wirtschaftsführern mit visionärem Schwung das Bild gigantischer deutsch -sowjetischer Wirtschaftsprojekte. „Wir suchen Kooperationen über 30, 40 Jahre. Greifen Sie zu, warten Sie nicht“, forderte Breschnew die Industriebosse auf, und die fühlten sich - so ein Teilnehmer - „auf den Klippen der Phantasie“. „Kühne Großprojekte“ für Stahl, Energie und Fertigwaren Breschnew hatte alles im Gepäck. Dahinter stecke die Erkenntnis, die Sowjetunion könne sich nur durch gigantische Investitionen aus den verhaßten kapitalistischen Ländern entwickeln. Und - nicht anders als heute - ging im westlichen Bündnis die Sorge um, nun werde die Bundesrepublik den Neutralismusrucksack in Richtung Osten packen.
Aus den hochgesteckten Plänen wurde nichts. Mitnehmen konnte Breschnew nur sein silbergraues Mercedescoupe, nicht aber eine Zinszusage der Bundesregierung für die dringend benötigten Milliardenkredite. Und auch die Unternehmer stellten bald fest, daß Visionen einer profitorientierten Buchhaltung nicht standhielten. Breschnews Reformeifer war nicht auf eine grundsätzliche Umgestaltung der Wirtschaft und der gesellschaftlichen Verhältnisse gerichtet, sondern lediglich auf die künstliche Beatmung eines Wirtschaftssystems, dessen Bankrott erst Gorbatschow verzeichnen darf. Vor allen: Die Grundlage für ein deutsches Engagement, in der Sowjetunion verdiente Profite auszuführen, war nicht vorhanden. Diese Basis wird unter anderem erst mit dem heute zu unterzeichnenden Investitionsschutzabkommen gelegt. Gorbatschows Reformen haben bereits rund 70 Joint-ventures hervorgebracht.
Gerd Nowakowski
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