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EINMAL KOKELN BITTE

■ Fotozündelei von Kain Karawahn

Freitag abend im Wedding, kurz nach der Tagesschau. Im U -Bahnhof Leopoldplatz streben Massen diskomäßig gekleideter Jugendlicher in die Cityzüge. An der Oberfläche beginnt die Dreiecks-Ralley übermütiger Autofahrer durch Müllerstraße, Reinickendorfer- und Seestraße. Auffallend viele Opel-Manta sind in diese kleinstadt-würdigen Kurzquietschstarts der Tour de Mauer involviert. Der Mitarbeiter der Videothek steht in knappem weißem T-Shirt gähnend unter der Tür seiner visuellen Berieselungsanstalt.

Soeben hat der pyromane Fotokünstler Kain Karawahn den Fußboden des vorderen Galerieraums abgefackelt. Fotobücher und kleine Folianten liegen angekokelt und halbverbrannt über den Fußboden gestreut. Papierasche wölbt sich in kleinen Stücken vom Boden weg. Die reproduzierbaren, fotografischen Zwangssituationen der festgehaltenen Schnappschüsse, Momentaufnahmen, Sportbilder und wohleingerichteten Fotoporträts werden durch das Feuer auf ihre fotochemische Halbwertzeit gedrückt. Was dem Feuerangriff auf die eingefrorenen Bewegungen der Bilder entgeht, entscheidet oft der Zufall. Inmitten des Ganzen steht ein fahloranger Polsterstuhl (Design Neckermann) im Nußschalenstil der vielbeschworenen Sechziger. Der dient als Sitzgelegenheit, um das wahllose Blättern in den nichtverkohlten Resten zu erleichtern. Die Besucher tun das mit sichtlichem Amüsement. Ein Jahreskompendium berichtet über die für wichtig gehaltenen Ereignisse. Ein Sportfoliant aus den dreißiger Jahren hält die damaligen Sportgrößen vornehmlich aus der Leichtathletik - fest. Die noch betrachtbaren Prototypen gleichen den Fotomodellen, die derzeit durch die Life-style-Magazine huschen, auf teuflische Weise.

Eine Stunde später beginnt der Zündelfritze Karawahn mit seinem zweiten evening act: in beliebiger Folge werden Fotos angeflammt und im (wie auch immer) entscheidenden Moment in ein achteckiges, mit Wasser gefülltes Aquarium geworfen. Unter lautem Zischen und dem freudigen Gejohle der umstehenden Zuschauer gefrieren die Bildfragmente in einen Zustand zwischen fotografischem Sarkophag und Urne.

Irgendwann hat mich das dann nicht mehr vom Hocker gerissen, und während im Eingangsbereich die Zündelshow ihrem unvermeidbaren Höhepunkt zustrebte, schaue ich mir noch einige Fotoobjekte im hinteren Raum der Galerie an. Gegenstandslose Großformatfotos werden durch die üblichen Abbrennungsprozesse bis aufs Skelett reduziert. Flächige Löcher in den Bildern verhindern ergänzende und eindeutige Assoziationen. Aber durch die Doppelglasaufhängung quer durch die Mitte des Raumes werden aus den ehemals einseitig betrachtenswerten Fotografien beidseitig visionable Kunstobjekte mit einem überzeugenden Spiel von unregelmäßig übriggebliebenen Formen und Farbtönungen.

mosch

Fotogalerie im Wedding: Fotografie ins Feuer - Kain Karawahn. Amsterdamer Straße 24, bis 9. Juli, di-fr 15-19 Uhr, sa 11-17 und so 14-17 Uhr. Gesprächs-, Video- und Fototermin am 27. Juni zwischen 19 und 20.30 Uhr.

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