: „Der Fisch stinkt vom Kopf her“
CDU Rheinland-Pfalz bald kopflos? / Die bevorstehende Kommunalwahl entscheidet auch über die Zukunft des Ministerpräsidenten Wagner - denn Kronprinz Wilhelm wartet / Die Stimmung an der Basis deutet jedenfalls auf ein bevorstehendes Wahldebakel hin ■ Aus Mainz Fabian Fauch
Der Rentner - 73 Jahre alt, „guter Katholik“ - klingt sehr erbost am Telefon: „35 Jahre lang war ich CDU-Mitglied! Jetzt bin ich ausgetreten!“ Der wackere Christdemokrat aus Bingen am Rhein hat die CDU nicht als einziger verlassen: Der ganze Rentner-Stammtisch zog mit. Nicht daß der 73jährige die CDU seit Geißler zu „linkslastig“ findet! Er begründet seinen Austritt ganz anders: „Die heutigen Politiker von CDU/CSU haben das 'C‘ nicht mehr verdient. Die geben sich höchstens dann noch christlich, wenn sie vor Kameras stehen.“ Der CDU Rheinland-Pfalz schwimmen nicht nur in Bingen die Felle den Rhein hinab. Bergab geht es schon, seit Bernhard Vogel Ende '88 seine Abwahl als CDU -Landesvorsitzender mit dem Rücktritt als Ministerpräsident (MP) quittierte - sein „Gott schütze Rheinland-Pfalz“ auf den Lippen. Nachfolger Vogels wurde Carl-Ludwig Wagner. Doch der gilt nicht nur unter jungen CDU-Mitgliedern lediglich als „Landesonkel“ - zu träge, die CDU 1991 durch den Landtagswahlkampf zu führen; zu trübe, sein Bundesland nach außen zu präsentieren. Das dachten wohl auch die Protokoller des Bush-Besuchs in Mainz und auf dem Rheine. Wagners Selbstwertgefühl und das Ansehen der Landes-CDU litten dabei schwer: Der MP betrat das Schiff zur Loreley und strebte sogleich zum Tische des US-Präsidenten Bush und des Kanzlers Kohl, wo er seinem Range gemäß Platz zu nehmen gedachte. Denkste! Die bösen Protokoller hatten dem Altfußballer Fritz Walter und dem Schauspieler Günter Strack den Vorzug gegeben. Wagner mußte an den Nebentisch rücken.
„Der Fisch stinkt vom Kopf her“, so bezeichnen CDU -Mitglieder die Krise ihrer Partei. Und der Kopf heiße Wagner. Verliert die CDU, wie sie's befürchtet, bei der Kommunalwahl am 18. Juni viele Stimmen, sind Wagners Tage gezählt - und auch die Tage einiger Kabinettsmitglieder. Der Landesverband wird Konsequenzen sehen wollen, damit die CDU bei der nächsten Landtagswahl 1991 nicht gänzlich in den Keller sackt. Eine Konsequenz wäre dann der Rücktritt des MPs. Viele Christdemokraten sähen lieber den CDU-Landes- und Fraktionschef Hans-Otto Wilhelm an Wagners Stelle. Kronprinz Wilhelm aber, dynamisch und machthungrig wie er ist, mußte sich bislang zurückhalten. Stets hatte er verlangt, Landesvorsitz und MP-Sessel zu trennen. So scheidet für ihn Personalunion aus. Zudem wollte er vor jeglicher weiterer Machtübernahme zunächst seine Partei straffen. Doch dabei gibt's noch viel zu tun. Sein Vorschlag etwa, Mandat und Ministeramt zu splitten, verlief bisher im Sande, der gegenwärtig im CDU-Getriebe knirscht.
Es knirschen auch die Zähne manches alten CDU-Streiters. Denn die Junge Union (JU) kündigte gebietsweise eigene „Junge Listen“ zu den Kommunalwahlen an. Aus Zorn drohten CDU-Verbände daraufhin jedem mit Parteiausschluß und Schlimmerem, der sich für „Junge Listen“ benennen ließ. Letztlich, so weiß CDU-Landespressesprecher Michael Becker, blieben zwei „Junge Listen“ übrig, in der Verbandsgemeinde Neuerburg und in der Stadt Neuwied. Doch habe der Druck der JU Wirkung gezeigt: Die Altpartei stellte laut Becker im zweiten Anlauf mehr junge Leute als ursprünglich geplant auf CDU-eigene Listen. In zwei anderen Städten indes - Bad Kreuznach und Ludwigshafen - laufen vor den CDU -Schiedsgerichten Ausschlußverfahren gegen zwei JU-Leute. Becker, der wie Wilhelm die „Jungen Listen“ gutheißt, sagte, man müsse da „differenzieren“: Das JU-Mitglied in Ludwigshafen sei „ein Querdenker“, jenes in Bad Kreuznach dagegen „ein Querulant, dem es seit Jahren nur um Unruhe in der Partei zu gehen scheint“. Doch die Unruhe der CDU hat einen ganz anderen Namen: die ultrarechten „Republikaner“, von denen MP Wagner nach dem Druck aus der CDU auf Distanz gehen mußte. Die REPs beziehen in Rheinland-Pfalz - eigenen Angaben zufolge - 40 Prozent ihrer Klientel (Mitglieder und Wähler) von der CDU. Da helfen auch in der CDU umstrittene Slogans nichts wie etwa: „Radikale und SPD - Wohlstand ade!“ Die Gegenparole, die der Grüne Gernot Rotter jetzt ausgegeben hat: „Rechtsradikale und CDU - die Vergangenheit schlägt zu.“
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