Grüne Vielfalt

■ Eurogrüne gewinnen bei der Wahl

So ganz selbstverständlich ist es ja nicht, daß die Grünen in der Lage sind, das ökologische Protestpotential in Westeuropa auch in Wählerstimmen umzusetzen. Wenn nun nach der Europawahl die politische Landschaft der Gemeinschaft einen kräftigen Grünstich trägt, glimmt doch ein bißchen Hoffnung auf, der EG-Bürokratie und dem „Europa der Konzerne“ ein paar ökologische Zugeständnisse abzuringen. Daß die britischen Grünen mit ihrem überragenden Wahlsieg auch eine tragische Rolle spielen, da es ihnen zwar gelungen ist, das britische Parteiensystem kräftig durcheinanderzuwirbeln, doch wegen des Mehrheitswahlrechts auf Sitze in Brüssel verzichten müssen, mag ein Wehmutstropfen sein. Daß jedoch die französischen Grünen die Kommunisten überrundeten und sogar die zerstrittenen italienischen Grünen kräftig zulegen konnten, daß auch in den Beneluxländern und bei den Iberern Ökologen Fortschritte machen konnten, hat politische Zeichen gesetzt und nicht zuletzt der grünen Vielfalt gutgetan.

Da ausgerechnet die Partei der Bundesrepublik stagnierte, wird sie im westeuropäischen grünen Konzert nicht mehr unbestritten die erste Geige spielen. Die Nörgelei jedoch, die festgeklopften „inhaltlichen Positionen“ könnten nun verwässert werden, da aus den romanischen Ländern und von der Insel „konservative“ Strömungen die Oberhand gewännen, bringt die eurogrüne Politik nicht weiter. Denn die aus ganz anderen Traditionen heraus geborenen grünen Bestrebungen in anderen Ländern bieten nämlich auch die Chance und einen Impuls, aus der bundesdeutschen Malaise herauszukommen. Statt Berührungsängsten ist jetzt Neugier gefragt, statt deutscher Besserwisserei und Arroganz - ein Vorwurf, der überall in West- und Osteuropa gegenüber manchen deutschen Grünen zu hören ist - die Suche nach Gemeinsamkeit. Und das von allen Seiten.

Auch wenn die französischen Grünen sich zieren werden und eine Regenbogenfraktion nicht umstandslos zu gründen ist, auch wenn in punkto Abrüstung und Friedenspolitik die Meinungen weiter auseinanderdriften, so bleibt bei der Ökologie, bei der Frauenpolitik, bei dem Streben nach einer multikulturellen Gesellschaft, bei den sozialen Fragen, bei der Kritik an den europäischen Institutionen und bei der Diskussion um die Demokratisierung der EG das gemeinsame Terrain abgesteckt. Für die osteuropäischen Grünen und demokratischen Strömungen jedenfalls - in Estland liegen sie nach finnischen Umfragen weit über 20 Prozent - ist die Vielfalt der Grünen Westeuropas glaubwürdiger als deren Einheit unter deutscher Dominanz.

Erich Rathfelder