: „Geburtstagsständchen“
Ein Westberliner Künstler- und Veranstaltungsmanagement plant zum 40. Jahrestag der DDR den Ost-West-Dialog als Promi-Festival ■ D O K U M E N T A T I O N
Betr.: 7.Oktober 89 im Tempodrom - Berlin (West)
Sehr geehrter Herr Fuchs,
die Zeit ist reif für einen neuen Aufbruch, auch in den beiden deutschen Staaten. Die Künstlerinnen und Künstler, die seit Jahren mit ihren Werken engagiert am gesellschaftlichen Geschehen teilnehmen, sollten auch untereinander neue Wege gehen. Der öffentliche Dialog zwischen ihnen könnte Zeichen setzen. Das gemeinsame Haus braucht uns alle.
Der 7.Oktober bietet sich m.E. an, einen Schritt in diese Richtung zu wagen. Es geht nicht darum, weinerlich über erlebte Ungerechtigkeiten zu sinnieren, sondern darum - wie Barbara Thalheim es formulierte -, sich über Wunden die Hände zu reichen.
Zu dieser Veranstaltung habe ich bisher eingeladen: Franz -Josef Degenhardt*, Wolf Biermann, Stefan Hermlin*, Jürgen Fuchs, Katja Ebstein, Barbara Thalheim*, Heiner Müller, Hannes Wader*, Katharina Thalbach, Christa und Gerhard Wolf, Alexander Lang, Pankow*, Otto Sander*, F.C. Delius*, Hans -Christoph Buch, Barbara Dittus*, Bettina Wegener*, Nina Hagen, Christoph Hein*, Manfred Krug, Pannach und Kunert*, Horst Thomeier, Volker Braun, Erwin Strittmatter, Bruno Ganz, Ulrich Plenzdorf, Aras Ören, Sarah Kirsch, Jurek Becker, Stefan Heym, Thomas Brasch, Udo Lindenberg.
Die KollegInnen, die mit einem * versehen sind, konnte ich schon telefonisch erreichen und haben ihre Bereitschaft zur Teilnahme erklärt. Ich hoffe, daß ich auch von Ihnen eine positive Antwort erhalte.
Mein Titelvorschlag für diese Veranstaltung lautet: Ja, dieses Deutschland meine ich - 40 Jahre DDR.
Den Ablauf des Abends stelle ich mir folgendermaßen vor: 1. Teil literarisch-musikalisch. Die Autoren, Liedermacher und Schauspieler tragen einen von ihnen selbst gewählten Text vor.
2. Teil „Geburtstagsständchen“ mit Pankow, Nina Hagen und Udo Lindenberg.
Etwaige Überschüsse aus den Eintrittsgeldern (Eintritt: 15 DM) sollen je zur Hälfte einer Umweltgruppe in Westberlin und in der DDR zugute kommen.
Bitte teilen Sie mir bis zum 30. Juni mit, ob Sie am 7.Oktober dabeisein können.
Mit herzlichen Grüßen
Hans-Herbert Gutz, KulturInitiative, Künstler- und Veranstaltungsmanagement
Dialog ja, jetzt!
Eine Terminabsprache.
Im Brief wird ein Terminvorschlag gemacht. Das Zelt ist schon angemietet. Hermlin und Hein haben zugesagt. Ausgezeichnet, Dialog ja! Ich könnte schon früher, zum Beispiel am 21.August, „Ein Bruderland wird besetzt“, auf dem Podium Vaclav Havel. Oder in der Zionskirche am Prenzlauer Berg, meinetwegen am 6.10.: „Ausgebürgerte zu Gast“, mit Wolf Biermann, Sarah Kirsch, Reiner Kunze und und und, es sind ja viele, Pässe für alle selbstverständlich, Eintritt frei, Büchertisch reichlich und unzensiert, mit langer Diskussion. Oder am 15.11., da wurde ein Kollege ausgebürgert... Franz-Josef Degenhardt, das fanden Sie ja ganz richtig, nicht wahr? Das war 76. Jetzt dreht sich der Wind, Stalin doch ein Verbrecher, die Ausbürgerungen waren „Fehler“, Untaten, Kopelew in Moskau, Solschenizyn wird gedruckt... Die Dissis hatten also Recht, was nun? Heimlich schon immer einer anderen Meinung gewesen? „Nicht weinerlich über erlebte Ungerechtigkeiten sinnieren“? „Die Zeit ist reif für einen neuen Aufbruch“? „Das gemeinsam Haus braucht uns alle“? „Sich über Wunden die Hände reichen“? Oder am 11.3., der Geburtstag von Robert Havemann, gestorben ist er an einem Karfreitag, Tausende kamen zu seinem Begräbnis, die Stasi kontrollierte, machte Straßensperren ... Wird er an einem dieser Tage rehabilitiert? Von wem? Doch nicht etwa von Kurt Hager, der den Josef S. so eisern lobte, z.B. am 22.1.1953 in der 'Jungen Welt‘ da war er schon Professor und Abteilungsleiter im ZK der SED, „Das Werk Stalins 'Ökonomische Probleme des Sozialismus‘ gründlich studieren... Kampf gegen alle feindlichen Ideologien“... bitte nicht von dem. Oder der 8. Mai ist interessant, Tag der Befreiung, 79 wurde an diesem Tag der Hausarrest aufgehoben, nach drei Jahren, Robert Havemann totkrank. Das sind doch wichtige Daten, finde ich, zum Dialog, zum Nachdenken, zum Erinnern. Und ohne ehrliches Erinnern gibt es eben keine demokratische, offene Zukunft. Das sind meine Terminvorschläge, man könnte vielleicht noch einmal nachdenken und umdisponieren, ihr Jungs vom Künstler- und Veranstaltungsmanagement. Dann könnte ich wahrscheinlich kommen. Und die anderen auch: Wir kommen, wenn sich wirklich was ändert. Das kann man leicht merken. Die Computer an der Grenze lassen sich in Sekunden umstellen, die Bücher sind schon gedruckt, Platten gibt es auch, die könnten wir mitbringen zu unseren Lesern ... zu Freunden und Feinden, in Zirkuszelte und sonstwohin, natürlich mit Udo und Nina. Noch mal im Kalender blättern, Hans-Herbert Gutz. Und kurze Rücksprache halten. Dialog ja, jetzt. Auch wenn Schnitzler und Margot Honecker Angst haben.
Jürgen Fuchs
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