: Funkstille herrscht unter den Intellektuellen Amerikas
Amerikanische Politik ist langweilig, und unter den Studenten herrscht Ruhe - Intellektuelle in den USA verhalten sich politisch enthaltsam und bleiben taub ■ E S S A Y
In einer geheimen Ansprache an seine Generäle machte der chinesische Führungspolitiker Deng Xiaoping in der vergangenen Woche eine Handvoll Schüler, Wissenschaftler, Studenten und Literaten für die jüngsten revolutionären Ereignisse verantwortlich. Als Hauptverantwortlicher wurde der Astrophysiker Fang Lizhi bezeichnet, der mittlerweile Zuflucht in der US-Botschaft von Peking gefunden hat.
Dengs Behauptung - so übertrieben auch immer sie sein mag betont noch einmal die aktive Rolle von Intellektuellen in pro-demokratischen Bewegungen in der kommunistischen Welt. Dieser Umstand ist in den USA weitgehend vernachlässigt worden. Aufstand und Unruhen werden hier gewöhnlich auf Grundlage wirtschaftlicher oder machtpolitischer Faktoren erklärt, jedenfalls nicht auf ideeller Basis. In der Sowjetunion haben sich Physiker wie Andreij Sakharow, Historiker wie Roy Medvedev, Literaten wie Andreij Vosnesensky, Verleger wie Vitaly Korotich, Dramatiker wie Mikhail Shatrov und Schauspieler wie Mikhail Ulyanov wiederholt und hartnäckig für Reformen und ein Ende aller staatlichen Zensur ausgesprochen.
Einige von ihnen haben sich - häufig mit Erfolg - um öffentliche Ämter beworben. In Moldavia haben sechs Angehörige des Schriftstellerverbandes alle zugeteilten Sitze im Abgeordnetenrat der Region vereinnahmen können. In jeder der drei baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen gehören Künstler, Architekten und Literaten zu den Führern und Gründern der „Volksfront„-Parteien.
Vergleicht man die zunehmenden Debatten im Ausland und die tödliche Stille in den USA, so konstatiert man einen wahrlich beeindruckenden Widerspruch zwischen dem allerorts keimenden Idealismus im Ausland und einer Intellektuellen und Künstlergemeinde in der Hochburg der Demokratie, die in Sprachlosigkeit und Gleichgültigkeit dahinsiecht. Nur wenige maßgebliche Künstler oder Literaten haben sich hier zur Unterstützung ihrer Kollegen in China oder der Sowjetunion hinreißen lassen. Fast eine Woche dauerte es denn auch, bis Norman Mailer und Susan Sontag es auf sich nahmen, im Namen einer indifferenten US-amerikanischen Literatenszene gegen die Todesdrohungen des verstorbenen Ayatollah Chomeiny gegen den Romancier Salman Rushdie zu protestieren.
Bis zum Augenblick hat nicht ein einziger Literat vom Range Voznesenskys sich gegen das Erwachen von Zensurmaßnahmen hier ausgesprochen. Dabei handelt es sich um fundamentalistische Briefkampagnen an Sponsoren „ausschweifender“ TV-Serien wie „Three's Company“ und eine Handvoll aus dem Senat lancierter Angriffe gegen „anti -christliche“ Arbeiten der visuellen Kunst, die teilweise mit Mitteln aus der Nationalen Kunststiftung finanziert worden sind. Jedes eloquenten Verteidigers beraubt, kriechen nachgiebige Sponsoren wie auch die Nationale Stiftung zu Kreuze und bitten ihre Angreifer unter Führung des Senators Jesse A.Helms um Vergebung. Die erhabene Corcoran Gallery of Art in Washington sagte erst in diesem Monat eine Ausstellung provokativer, halbnackter Fotografien des verstorbenen Robert Mapplethorpe ab. Grundlage dieser fragwürdigen Entscheidung: “...die politischen Umstände, ... die gegenwärtige Situation“ erfordere das.
In gewisser Weise sind diese Vorfälle nichts besonders Neues. Seit der ersten Stunde unserer anti-aristokratischen Demokratie blüht anti-intellektuelle Rhetorik. Amerikanische Geisteswissenschaftler sind traditionell in Deckung gegangen und haben die Führung aller politischen Angelegenheiten in erster Linie den Juristen und Geschäftsleuten überlassen. So wurde Thomas Jefferson in den ersten Wahlkämpfen als „Philosoph“ verspottet. John Quincy Adams wurde von den Anhängern Andrew Jacksons verhöhnt als Schreiber im Vergleich zum Kämpfer Jackson. Und das war nur ein Vorspiel für ähnliche Angriffe, die ein Jahrhundert später gegen Adlei E.Stevenson stattfanden, der als ein Kandidat gegen General Dwight D.Eisenhower anzutreten wagte und sich in komplizierten Sätzen äußerte.
Sicherlich haben Literaten, Professoren und Maler hier nicht die traditionelle Rolle, sich als Präsidentschafts oder Abgeordnetenkandidaten oder in öffentlicher Rede in den Affären der hohen Politik zu profilieren, wie das in Europa oder Lateinamerika der Fall ist. (Der französische Präsident Mitterrand ist gleichzeitig Dichter und Historiker; Giovanni Spadolini, der italienische Senatspräsident, ist ein anerkannter Geschichtsprofessor; Alan Garcia, der Präsident von Peru, ist Dichter, während der peruanische Schriftssteller Mario Vargas Llosa sich als führender Opponent der Garcia-Regierung bewies.)
Die Apathie in den USA muß angegangen werden, weil die Größe der Ereignisse es erfordert. Amerikanische Intellektuelle sind kaum jenen schrecklichen Repressalien ausgesetzt, wie sie in China angewandt werden oder noch jüngst in der Sowjetunion, und mußten sich zuletzt bedroht sehen, als in den 50er Jahren McCarthy Dissenz mit Verrat gleichsetzte.
Es gibt aber seit den 70er Jahren einen anhaltenden anti -intellektuellen Trommelwirbel von rechts. Neokonservative wie der Soziologe Daniel Bell, Autor William F.Buckley und die Politologin Jeane J.Kirkpatrick haben für die Krankheiten des postindustriellen Westens den Marxismus verantwortlich gemacht, den sie hinter der zeitgenössischen Kultur lauern sehen. Mit Hilfe der Medien haben sie auch einem Anstieg veralteter Religiosität und verschlafenem Kapitalismus das Wort reden können, für den die Erdrutschsiege Ronald Reagans stehen.
Doch diese Argumente lassen sich leicht widerlegen. Die Bells, Buckleys und Kirkpatricks sind schließlich selbst Intellektuelle, deren Aktivitäten andere eher anstacheln denn zum Schweigen bringen sollten. Der letzte Kongreß verabschiedete mehr liberale Gesetze als jeder andere seit 1948, inclusive der Finanzierung der Nationalen Stiftung. Die Gesetzgeber waren offensichtlich an der Unterstützung ihrer Wähler orientiert, die diese Kongreßmänner in Scharen wiederwählten. Proteste innerhalb des Kongresses gegen die Nationale Stiftung sind lediglich von einer kleinen, rechten Minderheit genährt und geführt worden.
Was aber erklärt letztendlich diese ungehörige Stille bei Künstlern und Wissenschaftlern? Eins der ständigen Signale für die Lage der amerikanischen Linken ist die würgende Langeweile amerikanischer Politik, verbunden mit der Ruhe auf dem Campus, sowohl auf Studenten- wie auch auf Dozentenseite. Vor nicht allzulanger Zeit beschwerte sich die amerikanische Linke über George Bushs Mangel an Eloquenz, verglichen mit Michail Gorbatschow. Das ist vorbei. Amerika ist taub und tumb, vom unten bis oben, nicht etwa umgekehrt. Während es in der Sowjetunion, in Polen, der Tschechoslowakei, Korea und China brennt, gezündet von Ideen, die wir zu exemplifizieren vorgeben, erstarren wir.
Albert Camus sagte einmal, er schreibe über Politik, um den politischen Diskurs in Frankreich zu verbessern. Wenn verantwortungsbewußte Amerikaner von George Bush geistige Höhen zur Verbesserung der freien Rede zugunsten von Glasnost oder Fang Lizhi vermissen, dann müssen verantwortungsbewußte Amerikaner das einklagen.
Große Zeiten und große Ereignisse sollten Literaten und Künstler inspirieren und durch sie die Wähler. In der fälschlichen Annahme, große Kunst erfordere pure, ungeteilte Hingabe, verkennt Amerikas kreative Minderheit Beispiele wie Whitman, Hemingway, Picasso und Pushkin. Ihre Arbeiten erhoben sich in krisenhaften Zeiten. Dies ist so eine Zeit, vor der Deng seine Generäle warnte.
„Man muß andauernd lesen“, sagte Voznesenksy jüngst einem Reporter in Moskau. „Jeden Abend im Fernsehen, in den Zeitungen, immer gibt es etwas Neues.“ Es gibt keine Langeweile draußen in der Welt, nur hier, in den besten unserer Köpfe.
Douglas Davis, Künstler und Design-Kritiker, Gast-Professor am „Art Center College of Art and Design“ in Los Angeles. Der Text erschien am 22.Juni 1989 in der 'Los Angeles Times‘ und wurde von Petra Groll übersetzt
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