: Stoff für acht A-Bomben kann unbemerkt fehlen
„Interner Bericht“ der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEO) belegt: In einer Atomfabrik können pro Jahr 52 Kilo Plutonium unbemerkt verschwinden / SPD-Abgeordneter Reuter: IAEO untersucht nur Abzweigungen, kann sie aber nicht verhindern ■ Von Michael Blum
Frankfurt/Hanau (taz) - „Wenn in einem großen überwachten Plutoniumbetrieb innerhalb des Jahres 1987 bis zu 52,4 Kilogramm Plutonium fehlen, dann merkt das keiner. Und dennoch gilt für diese Betriebe das Ziel der Überwachung als erreicht“, berichtet Professor Elmar Schlich. Der ehemalige NUKEM-Projektleiter hat in seinem Beitrag für das osthessische Regionalmagazin 'neue hanauer zeitung (nhz)‘ erstmals einem der Geheimhaltung unterliegenden Bericht der Internationalen Atomernergie-Behörde (IAEO) in Auszügen veröffentlicht. Diese 52 Kilogramm Plutomium reichen für die Produktion von acht Atombomben.
Der Bericht mit den Namen: „The Safeguards Implementation Report for 1987, GOV/2338, IAEO 1988“ liegt den IAEO -Vertragsstaaten und den dort zuständigen Aufsichtsbehörden vor. Doch lediglich Teil eins des Berichts mit Fahrtkostenabrechnungen der Wiener Spaltstoff -Flußkontrolleure und anderen wichtigen Mitteilungen ist öffentlich. Die Teile zwei und drei „unterliegen der Geheimhaltung“. Und das hat seinen Grund: „Dieser Report beweist, daß der offizielle Sprachgebrauch von den unerbittlichen Kontrolleuren der IAEO und der Euratom Gerede ist“, folgert Schlich. Die Ungenauigkeiten bei den Spaltstoffbilanzen ist dem Bericht zufolge erheblich größer, als offiziell bislang zugegeben wird. Schlich: „Pro Jahr erstellt die IAEO mit Hilfe der von den Firmenbetreibern vorgelegten Zahlen - also nicht aufgrund eigener Messungen eine Buchhaltung für jeden überwachten kerntechnischen Betrieb. In der BRD werden alle kerntechnischen Betriebe überwacht.“ Schlich zufolge ist die Überwachung von Reaktoren kein Problem. Die gibt es jedoch „in der Regel und nicht in der Ausnahme - bei Betrieben, die Spaltstoff in nicht zählbaren Mengen, also als Pulver oder als Lösung verarbeiten“. Die weltweit größten Betriebe dieser Art befinden sich im Atomdorf Hanau: Das Siemens Brennelementewerk, vormals Alkem und RBU.
Die Spaltstoff-Flußkontrolle errechnet sich über die signifikante Menge („siginficant quantity“ - SQ) aus der die Bilanzungenauigkeit („accountance verification goal“ - AVG) berechnet wird. Schlich: „Je nach Art des kontrollierten Materials berechnet man zunächst die SQ, also die Menge, die eine Waffe ausmacht.“ Bei Plutonium sind das acht Kilogramm. Dabei spielt es laut dem Ex-Nukem-Mitarbeiter keine Rolle, ob es „sich um Reaktorplutonium oder um Waffenplutonium handelt.“ Die 99 Kontrolleure der Wiener Behörde unterscheiden dies nicht, und Schlich weiß auch, warum: „Auch mit Reaktorplutonium läßt sich mit etwas Aufwand eine massentödliche Waffe bauen.“
Aus der SQ errechnet sich die Bilanzungenauigkeit. Und die bewegt sich nach dem Report bei den „sechs größten Plutoniumfabriken in 1987 zwischen dem 1,62-fachen und dem 6,55-fachen einer waffenfähigen Menge“.
Schlich: „Ähnlich sieht es bei den uranverarbeitenden Betrieben aus: Hier war die Bilanzungenauigkeit bei 80 Prozent der überwachten Anlagen im Bereich einer waffenfähigen Menge, die Ausnahmen betrafen genau die Anlagen, die große Mengen nuklearen Materials handhaben.“ Hier berechnet sich die Bilanzungenauigkeit nach dem Report auf Werte zwischen dem 1,06fachen und dem 8,3fachen einer waffenfähigen Menge. Für den Wissenschaftler steht demnach fest: „Wenn in einem großen überwachten Plutoniumbetrieb die Menge für acht Bomben fehlt, merkt das keiner.“
Der Bericht geht aber noch weiter: Von 86 überwachten Anlagen erreichten zwölf das Inspektionsziel überhaupt nicht, 20 erreichten dies nur teilweise, und nur 54 schaffen die oben genannten Zielvorgaben. Schlich: „Also auch die schon beträchtlichen Bilanzungenauigkeiten sind für 37 Prozent der überwachten Betriebe noch nicht groß genug.“
Bernd Reuter, SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Bonner Atom-Untersuchungsausschusses bestätigt „nach Kenntnisstand der Fraktion“ die Authenzität des IAEO -Berichts. Reuter in der 'nhz‘ zur Kontrollpraxis der IAEO: „Bei den Aussagen der Wiener vor dem Bonner Untersuchungsausschuß wurde klar: Es geht der IAEO nicht darum, Abzweigungen zu verhindern. Die recherchieren lediglich den Abzweigungen hinterher.“
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