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The Master of Grass

Der Chef-Gärtner von Wimbledon: Interview mit Jim Thorn (63), verantwortlicher „groundsman“ der heiligen Rasenplätze / Das Menschenrecht der Cracks: Rasen zertrampeln  ■  Von Bernd Müllender

In der vergangenen Woche wurde er von Königin Elisabeth II. in den Stand „Member of the British Empire“ erhoben: wahrscheinlich der erste Gärtner, dem diese hohe englische Ehre zuteil wurde. Aber Jim Thorn (63) ist nicht für irgendwelche Gewächse verantwortlich. Er hegt und pflegt als oberster „groundsman“ seit sieben Jahren die Grashalme auf dem Centre Court (und den 31 anderen Plätzen) von Wimbledon, dem legendenumwobenen und wichtigsten Tennisturnier der Welt, das gestern zum 103. Mal angeschlagen wurde.

Jim Thorn ist ein rührend netter, drahtiger Mann, Beispiel von typisch britischem Understatement, mit Wellen und Furchen im Gesicht, wie sie sein Rasen nicht kennt. Die alte Baskenmütze tief in die Stirn gezogen, stand er zum ersten Mal einer westdeutschen Zeitung Rede und Antwort.

Zunächst fühlte er zur Probe das Gras auf dem Platz.

taz: Mr. Thorn, wie würden Sie den Rasen von Wimbledon beschreiben?

Thorn: Na, wie Gras.

Ist es wie ein Katzenfell, wie ein Teppich? Womit kann man es vergleichen?

(Streicht, zögert) Nein, es ist nicht vergleichbar. Es ist eben Gras. Das ist unvergleichlich.

Hat Wimbledons ganz besonderer Rasen denn ein Geheimnis?

Nein, es gibt kein Geheimnis. Wir alle sind professionals, wir machen unsere Arbeit so perfekt als möglich. Auch wenn es in Wimbledon scheinbar ganz persönlich zugeht und das Turnier das Image einer Gartenparty hat. Wir sind die Besten und müssen es auch sein. Und wir haben Regeln. Eine ist die, daß alle Plätze, auch der Centre Court, genau gleich hergerichtet werden. Alle 32 Plätze, auch die Trainingsplätze, sind so weit identisch, wie wir es nur schaffen können. Obwohl jeder Platz sein eigenes Klima hat. Weil Gras eine lebende Pflanze ist, gibt es eben doch kleine Unterschiede. Das müssen dann eben die Spieler herausarbeiten. Das ist deren Aufgabe.

Also hat jeder Platz seine eigene Persönlichkeit?

Das war das Wort, nach dem ich gesucht habe: personality. Jeder Platz hat seine eigene Persönlichkeit. Platz zwei zum Beispiel hat, bedingt durch die Historie, eine sehr charismatische, aurtoritäre Persönlichkeit. Er wird von den Spielern seit jeher „der Friedhof“ genannt, weil ganz früher hier mal einige gesetzte Spieler rausgeflogen sind. Obwohl, das möchte ich sagen, an dem Rasen selbst nichts falsch ist. Aber die Spieler sind eben abergläubisch, und der Centre Court ist eben der magische Platz, wegen der Atmosphäre, dieses Besondere, Einmalige.

Magisch. Man spricht ja auch vom heiligen Rasen hier in Wimbledon.

Ach, der Rasen ist nicht das Heiligste vom Heiligen. Es ist eigentlich nichts als Gras. Unsere Jahresrechnung beginnt wirklich, sobald die Meisterschaften vorbei sind. Wir fangen dann an, ihn mit der Hand zu rechen, und mit speziellen Klingen senkrecht zu schneiden. Die Menge von rubbish die wir da rausholen, die müßten Sie sehen, um es zu glauben. Später säen wir jedes Jahr komplett neu ein, alle neun Tage muß man es dann später schneiden, viel düngen, immer wieder auf Krankheiten checken, immer wieder.

Aber vorsichtig?

Und nur wenig rollen. Wenn ich den Platz, ja, überrolle, dann zerstöre ich die Wurzeln, oder sie kommen sogar an die Oberfläche. Das ist mein Beruf. Rollen Ja, rollen Nein, oder nur ein wenig rollen, das ist eine der sehr kritischen Fragen. Ab März ist der Rasen auf einen dreiviertel Inch gewachsen, dann müssen wir alles ganz, ganz langsam wiederbefestigen, und dann bekommen wir ihn runter bis auf die Höhe zu den Meisterschaften jedes Jahr. Alles ist abhängig, natürlich, vom Wetter.

Es muß doch schrecklich sein für Sie, wenn die Spieler alles zertrampeln und die Arbeit von 50 Wochen in vierzehn Tagen zunichte gemacht wird.

Das ist für 14 Tage ihr Platz, wie sie auch immer da reintreten. Das ist das Menschenrecht der Tennisspieler, auch wenn sie immer härtere Schuhe tragen. Irgendwann kommen sie sicher noch mit Spikes. Der Boris Becker, der bewegt sich so schnell, so hektisch, oh god, der bewegt sich wirklich wie, ja, wie ein Panzer.

Dann muß die „Becker-Rolle“ für sie besonders schmerzlich sein?

Ach nein. Wenn die Spieler nicht hier wären einmal im Jahr, dann hätte ich ja nicht meine Aufgabe. Ich muß das dann eben reparieren.

Wie hoch muß das Gras denn exakt sein, damit es perfekt ist?

Fünf sechzehntel Inch.

Also etwa ein Viertel Inch, das sind...

...no Sir, fünf sechzehntel. Das sind, wir haben ja jetzt auch das metrische System, etwa sieben Millimeter. Das ist Meisterschaftshöhe. Aber im Verlauf des Turniers können wir auf sechs Millimeter, notfalls auch bis fünf heruntergehen.

Haben Sie keine Maschinen?

Wir haben sogar ein sehr hochentwickelte Ausrüstung. Wenn da irgendeine neue Maschine irgendwo auf den Markt kommt, dann kaufe ich sie.

Was haben Sie denn für ein Budget?

Es gibt kein Budget.

Heißt das, Sie können soviel Geld ausgeben, wie Sie wollen?

Ja. Ich brauche niemanden zu fragen, und es hat auch noch nie jemand gesagt, das ist zuviel gewesen. Wenn ich etwas brauche, bekomme ich es. Das ist eben Wimbledon.

Und niemand könnte diese Arbeit besser machen als Sie?

Ich weiß nicht. Wenn es einen Besseren gäbe, dann wäre der natürlich groundsman hier in Wimbledon, nicht ich. Wir arbeiten so perfekt wie möglich. Das einzige, was wirklich schlimm ist, ist heißes Wetter, so wie dieses Jahr, da haben wir wirklich streßvolle Bedingungen. Ich bin wahrscheinlich der einzige in England, der für Regen betet.

Können Sie sich vorstellen, daß hier in Wimbledon mal auf einem anderen Belag gespielt wird?

Nein, wirklich nicht, ehrlich nicht, nein. Das wäre doch nicht mehr Wimbledon, dieses typisch Englische, dieser Anachronismus, wie wir ihn lieben. Sollen alle anderen doch sagen, wir hier wären verrückt. So ist es gut.

Sie haben viele Spieler erlebt, an wen erinnern Sie sich gerne?

Well, Billy-Jean King. Sie war wie eine Kuh auf dem Platz. Aber extraordinary nett außerhalb. Eine große Spielerin. Aber eigentlich sind sie, auch heute, alles nette Menschen, außerhalb des Platzes.

Haben Sie denn selbst schon mal hier gespielt?

Ich spiele nicht. Ich mag kein Tennis. Ich spiele Golf, Handicap 15. Golf ist einfach phantastisch.

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