: „Schwarze Sonne über China“
■ StudentenführerInnen flüchten aus China / Washington und Moskau buhlen um Peking / Bush mahnt zur Besonnenheit / Gorbatschow gratuliert Jiang Zemin / Neuer KP-Chef setzt in seiner ersten Rede auf Erziehung / Volksrepublik holt Diplomaten nach Hause
Peking/Hongkong (dpa/ap/taz) Etwa ein Dutzend StudentenführerInnen haben sich ins Ausland absetzen können. Am Montag ging in Hongkong der Nachrichtenagentur 'ap‘ eine Erklärung zu, die mit Wuer Kaixi, dem Namen eines der Geflohenen, unterschrieben ist und deren Authentizität von Fluchthelfern bestätigt wurde. Darin heißt es, über China sei eine schwarze Sonne aufgegangen. Die Spuren der Panzerketten seien blutgetränkt gewesen. Faschisten hätten mit ihren Stiefeln zarte Blumen zertreten, weil sie Angst hätten. Eines Tages aber würden diese Blumen aufs neue erblühen, wenn der Himmel wieder licht sei. Wie in Hongkong zu erfahren war, hatte Wuer keine Reisedokumente bei sich. Mit Hilfe der Fluchthelfer sei er sicher in die USA gelangt, wo er sich derzeit aufhalte. Auch der Studentenführerin und Psychologie-Studentin Chai Ling gelang die Flucht nach Australien. Zusammen mit ihr hätten sich etwa ein Dutzend Studentenführer ins Ausland absetzen können.
In China verkündete gestern Jiang Zemin in seiner ersten Rede als neuer KP-Chef, daß die Führung ihre Reform und Öffnungspolitik fortsetzten und noch effektiver gestalten will. Gegen eine „kleine Anzahl von schlechten Elementen“ müsse man allerdings unnachgiebig und streng vorgehen. Gegenüber der Mehrheit der TeilnehmerInnen an den Protestaktionen äußerte er sich jedoch eher gemäßigt: Gegenüber den Volksmassen, der Jugend und den Studenten, die an den Demonstrationen, an Hungerstreiks und Solidaritätsaktionen teilgenommen hätten, sei die Erziehung die „wichtigste Frage“. Durch sie könne ein „großer Zusammenschluß der Massen“ erzielt werden.
Zuversichtlich, daß die Beziehungen zwischen beiden Staaten „im Geiste der Freundschaft und der guten Nachbarschaft zum Nutzen beider Völker und im Interesse des Friedens“ entwickelt würden, lautete auch das Glückwunschtelegramm Michail Gorbatschows an den neuen KP-Chef. Schon bei seinem Staatsbesuch Anfang Mai gab sich der Kreml-Chef gegenüber den Demokratie-Forderungen der StudentInnen zwar dialogbereit, aber zurückhaltend distanziert. Über die Ereignisse auf dem Tiananmen berichteten die sowjetischen Medien unter Berufung auf die staatlich kontrollierten chinesischen Massenmedien. Der Annäherungsbewegung der asiatischen Supermächte sollten die Studentenproteste nicht im Wege stehen. Moskau vermied es bislang, sich den internationalen Sanktionsforderungen gegen China anzuschließen und die gerade erst geknüpften Bande zu lösen.
Unterdessen mahnten auch US-Präsident George Bush und Außenminister James Baker wieder zur Besonnenheit in bezug auf China. Auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus vermied es Bush, die Festnahmen und Hinrichtungen in China scharf zu kritisieren. „Ich wiederhole den Wunsch, dem Volk selbst nicht zu schaden“, sagte er. Gute Beziehungen zu China seien das amerikanische Interesse. Auch Baker sicherte am Montag vor der Asiengesellschaft in Washington den demokratischen Kräften in China Unterstützung der USA zu. Man dürfe jetzt nicht die Abscheu vor der Repression die Oberhand gewinnen lassen, auch wenn derzeit die Beziehungen beeinträchtigt seien.
Allein China gibt sich spröde und hat erneut zwei US-Bürger zum Verlassen des Landes aufgefordert, weil sie an Unruhen in Tianjin beteiligt gewesen seien. Überdies hat Peking nach Berichten von Diplomaten alle ihre Botschafter, darunter den in Bonn, nach Hause gerufen. Mehrere Auslandsvertretungen teilten gestern mit, die Botschafter seien entweder schon unterwegs oder würden in Kürze abreisen. Ein westlicher Diplomat erklärte in Peking, am 7.Juli solle eine Generalversammlung der Botschafter stattfinden. Vermutlich sollten die Diplomaten die Richtlinien der neuen Politik erhalten. Mehr als 20 Diplomaten sollen nach dem Massaker ihrer Regierung die Gefolgschaft aufgekündigt und im Gastland um Asyl gebeten haben.
sl
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