: „Eigentlich bin ich ja ein Gorbatschow-Fan“
■ Interview mit dem Bremer DKP-Mitglied Uwe Lange / Er war mit UmweltschützerInnen in Riga und versteht den lettischen Unabhängigkeitsdrang gut
Uwe Lange ist Ökologe und Mitglied der Bremer DKP. In den vergangenen Wochen nahm er in Lettland an der „Ostsee -Konferenz“ teil, der ersten von ost-westlichen Basisinitiativen organisierten Umwelttagung in der Sowjetunion.
taz: War das Deine erste Lettland-Fahrt?
Uwe Lange: Nein. Vor zweieinhalb Jahren war ich Gast vom ZK der KPdSU und unter anderem eben auch fünf Tage in Lettland. Damals hab ich die Umweltprobleme so nicht wahrgenommen.
Welche Schäden hast Du diesmal gesehen?
Ich war am Strand von Jurmala, wo Baden verboten ist wegen bakteriologischer Verschmutzung. Das ist das traditionelle Sommerbad von Riga, da sind im Sommer etwa 300.000 Leute. Es ist wun
derschön da, aber man darf eben nicht mehr baden. Das liegt vor allem an der Verschmutzung der Daugava, die in unmittelbarer Nähe mündet. Das ist der größte Fluß Lettlands, da fließen die ganzen Abwässer der Städte rein.
Hast Du auf Deiner ersten Fahrt etwas von der nationalen Unterdrückung gemerkt?
Nein. Aber wir haben nachgefragt, weil fast nur russisch gesprochen wurde.
Und was hast Du diesmal gesehen?
Naja, das glatte Gegenteil. Das ist so, daß auf der ganzen Konferenz von unseren Gastgebern nur lettisch gesprochen wurde. Und das hat für die eine große Bedeutung. 47 Prozent der Bevölkerung von Lettland sind nur noch Letten.
Die Umweltbewegung hat einen stark nationalistischen Ein
schlag nach dem Motto: 'An der Verschmutzung sind nur die Russen schuld‘.
Ich finde das nachvollziehbar und verständlich. Weil es eben so ist, daß im Zusammenhang mit der verstärkten Industrlisierung nh dem zweiten Weltkrieg die Probleme entstanden sind. Und die sind eben von Russen ins Werk gesetzt.
Und die Russen werden auch dafür verantwortlich gemacht, daß es eben zum Beispiel keine Kläranlagen gibt. Ich schätze es so ein, daß es natürlich nur ein Teil der Wahrheit ist. Und daß die Probleme nicht gelöst werden, wenn ein unabhängiges Lettland existieren würde.
Wie denkst Du über die Forderung, sich von der Sowjetunion unabhängig zu machen?
Ich bin unsicher, vieles spricht
dafür. Ich sehe, daß die politische Stimmung aufgrund der konkreten Erfahrung mit dem Sowjetsystem keine andere Lösung zuläßt. Alle sagen: Es wird erst eine Lösung möglich, wenn wir selber unsere Geschicke in die Hand nehmen können. Zum Beispiel der Einbau irgendeiner Filteranlage in irgendeiner Fabrik muß von Moskau genehmigt werden. Und der wird halt einfach nicht genehmigt. Die Umweltbewegung ist entstanden aus einer Hinwendung zu ihrem eigenen Kulturerbe. Die gehen mehr mit so
einem Naturmystizismus an die ganze Sache ran.
Warum gab es soviel Schwierigkeiten um Eure Ostsee -Konferenz?
Die Schwierigkeiten resultierten daraus, daß unsere Gastgeber im VAK (Klub zur Verteidigung der Umwelt) das auch politische Aktion gesehen haben. Daß es eine Möglichkeit war, die Aufhebung der Sperrzonen für Ausländer anzugehen. 80 Prozent des lettischen Gebietes sind gesperrt.
Als Lettland 1944 von der Roten Armee besetzt worden ist, wa
ren damit viele nicht einverstanden, weil sie die Erfahrung von von den Deportationen 1941 hatten. Damals haben sich Partisanengruppen gebildet, die sogenannten 'grünen Brüder‘. Die haben zum Beispiel in dem Gebiet von Edole, wo wir waren, sechs Jahre gekämpft. In dem Zusammenhang sind alle diese politisch problematischen Gebiete geschlossen worden.
-Das ist eben eine grundlegende Forderung, daß die Rote Armee aus Lettland abziehen soll.
Gibt es eigentlich keinen Haß auf die deutschen Besatzer?
Ein Jahr vor Einmarsch der Deutschen war bereits der Anschluß an die Sowjetunion. 1941 war unter Stalin die erste große Deportation von 40.000 Letten. Zwei Wochen später ist die Wehrmacht einmarschiert. Das ist von vielen Letten als Befreiung empfunden worden. Das Leben unter den Deutschen war relativ 'normal‘, für bürgerliche Verhältnisse.
Und jetzt sind wieder die russischen Okkupanten da. Die Deutschen, das ist abgehakt, das war eine vierjährige Episode.
Wie siehst Du die Zukunft?
Ich bin ja eigentlich Gorbatschow-Fan. Aber jede Freiheit, die den Letten eingeräumt wird, richtet sich gegen die Perestroika. Die, mit denen wir gesprochen haben, sind sich völlig einig, mit Sozialismus wollen sie nicht das geringste zu tun haben. Und auch nicht mit Gorbatschow. Das ist vorbei. Die sagen, wenn Gorbaschow jetzt die Wirtschaft ankurt, rd Umwelt noch mehr verschmutzt. Die sind völlig erbittert. Und hoffen auf westliches Kapital. Die Linken von denen sind mal gerade sowas wie Sozialdemokraten. Und die KP -Leute, die in der Volksfront mitarbeiten, sind fast schon so drauf, daß die auch für Unabhängigkeit sind. - Da ist nichts mehr mit Sozialismus.
Interview: Barbara Debus
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