Lebenslänglich für den Führer von Action Directe

Einer der vorläufig letzten großen „Terroristenprozesse“ in Frankreich ging ohne großes öffentliches Interesse zuende / Das Sondergericht in Lyon sprach harte Urteile gegen die Anführer, setzte sich aber differenzierter mit der Lage der Mitläufer auseinander  ■  Aus Paris Georg Blume

Wieder saß Maitre Verges auf der Verteidigerbank in Lyon. „Diese Gesellschaft ist schwer krank,“ diagnostizierte der Staranwalt mit der feinen, beißenden Stimme. Ihm gegenüber derselbe Gegner wie 1987 beim Barbie-Prozeß: Gerichtspräsident Cerdini. Doch das erneute Duell der beiden im vielleicht letzten großen „Terroristen„-Prozess, den Frankreich für längere Zeit erlebte, fand kaum öffentliches Interesse. Teilnahmslos titelte der 'Figaro‘ zum Prozeßende: „Action Directe - der Epilog.“

Der „Epilog“ sind die Urteile, die gestern in Lyon gesprochen wurden: Drei lebenslängliche Haftstrafen ohne Bewährungsmöglichkeit, eine Haftstrafe über 20 Jahre, und eine weitere über 18 Jahre mit Bewährungsmöglichkeit verhängte das Sondergericht gegen die Hauptangeklagten des sogenannten „Lyoner Zweigs“ der französischen Untergrundorganisation Action Directe (AD). Nach Ansicht des Gerichts ist diese Gruppe für insgesamt 33 Banküberfälle während der frühen achtziger Jahre verantwortlich, bei denen drei Menschen getötet wurden. Weiterhin werden AD-Lyon eine Reihe von Sprengstoffattentaten (z.B. gegen das Arbeitsamt für Ausländer in Lyon) zur Last gelegt, bei denen es keine Verletzten gab. Die Angeklagten schwiegen während des Prozesses.

Neben dem unbestrittenen Führer der Lyon-Gruppe, Andre Olivier, und seinem besten Handlanger Max Frerot, zeigte sich vor Gericht eine sehr heterogene Gruppe von insgesamt 21 Personen, deren Mitglieder zur Zeit der Banküberfälle und Attentate meist um die zwanzig Jahre jung waren, beileibe keine Intellektuellen, und damals mehr aus Unwissenheit denn aus Überzeugung in den Dienst des Geschichtslehrers Olivier traten. Ausführlich berichteten die Verteidiger über das „gewöhnliche Leben“ ihrer Klienten, die Olivier schon seit Jahren den Rücken gekehrt hatten, und erst nach der Entdeckung der Tagebücher von Max Frerot 1987 festgenommen wurden.

Durchaus unüblich für eines der erst seit 1986 in Frankreich eingesetzten Sondergerichte in Sachen Terrorismus folgten die Lyoner Richter den differenzierten Fallanalysen der Verteidiger. Die erteilten Haftstrafen zwischen zehn Monaten und sieben Jahren mit Bewährung werden zur Folge haben, daß zehn Angeklagte in den nächsten Monaten wieder frei kommen. Im umstrittenen Fall des Algeriers Mouloud Aissou, der sich bei seiner Verteidigung auf eine Amnestie von 1981 berief, erkannten die Richter die Argumentation des Angeklagten an.

Cerdini ist damit der erste Vorsitzende eines Sondergerichts, der ein Urteil sprach, das nicht sofort dem Verdacht unterliegt, vom Pariser Justizministerium diktiert zu sein. Indes bleibt in Frankreich die von Premierminister Chirac harte Terroristen-Gesetzgebung von den heute regierenden Sozialisten unangetastet, die Sondergerichte und die auch in Lyon wieder angewandten Höchststrafen einführte.