: Der Dokumentarfilmer Joris Ivens ist tot
■ Der letzte Film des 90jährigen Regisseurs, „Eine Geschichte über den Wind“, ist seit gestern in den Kinos
„Ein Film über Ereignisse, die in China eintreten, ist dazu verurteilt, schon nach einem Jahr veraltet zu sein“, sagte Joris Ivens zu seinem letzten Film Eine Geschichte über den Wind. Erst gestern war in der taz vom weltweit dienstältesten Filmemacher die Rede, in der Nacht zum Donnerstag ist der niederländische Regisseur - er war schwer lungenkrank - gestorben. Nichts ist älter als die Zeitung von gestern.
Seinen ersten Film drehte der Fotografen-Sohn mit 13 Jahren im eigenen Garten, einen siebenminütigen Western; die Familie spielte die tapferen Pioniere und Joris selbst den rächenden Indianer. Er war der Erfinder des Dokumentarfilms, studierte zunächst Bewegungen, Maschinen, Natur: in Die Brücke, Brandung, Regen. Ich-Film war sein Versuch, die Kamera den Platz des menschlichen Auges einnehmen zu lassen. 1933 dreht er den ersten J'accuse -Dokumentarfilm über die streikenden belgischen Bergarbeiter, 1937 hält er mit der Kamera den spanischen Bürgerkrieg fest, 1938 den Kampf der Chinesen gegen die Japaner.
„Statt eine Petition für Vietnam, für Mali zu unterschreiben, fahre ich dorthin“: Ivens drehte in der Sowjetunion (mit den Stalinisten bekam er seltsamerweise nie Ärger), in der Tschechoslowakei, der DDR, in den USA, in Kanada, in Indonesien, Mali, Kuba, Chile, Vietnam, Italien und Frankreich; er war Augenzeuge aller wichtigen Revolutionen, Kriege und Befreiungskämpfe dieses Jahrhunderts. Als er sich in Indonesia Calling (1945) auf die Seite der jungen Republik und gegen die niederländische Regierung stellt, entzieht ihm sein Land den Paß. Erst 40 Jahre später reiste der niederländische Kultusminister nach Paris, um sich im Namen der Regierung mit dem bedeutendsten Filmemacher des Landes zu versöhnen.
„Ich habe die Völker Krieg führen sehen, ich habe die Menschen sterben sehen, und ich habe mit ihnen gelebt. Es geht alles so schnell, und man muß bei jedem Film für den nächsten lernen. 'Man braucht Zeit um jung zu werden'“, zitiert Ivens Picasso. Er ist zu früh gestorben.
chp
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen