: „Wenn nur Tante Hildegard käme...“
■ Gespräch mit Finanzsenator Norbert Meisner über Polenmarkt, Schattenwirtschaft, legalen, halblegalen und illegalen Ost-West-Handel
taz: Herr Senator, sind Sie für oder gegen die Mauer?
Norbert Meisner: Ich bin immer gegen die Mauer gewesen.
Was wollen Sie denn machen, wenn die Mauer fällt und viele DDR-Bürger genau das tun, was viele Polen zur Zeit machen - nach West-Berlin kommen, um zu handeln?
Mauern und andere Grenzsicherungsanlagen sind ja mal gebaut worden, weil es ein Währungsgefälle gab, das mit dem Wirtschaftssystem der DDR damals nicht verträglich war und bei dem die DDR sich ausgeplündert fühlte. Und solange das Währungsgefälle gegenüber der DDR und auch Polen so bleibt, werden staatliche Maßnahmen immer nötig sein, um das etwas auszugleichen. Das Beste wäre eine frei konvertible Währung in der DDR und Polen - dann wären die entsprechenden Schwierigkeiten gar nicht da.
Was ist denn an Alternativen zu einem Verbot des Polenmarkts im Senat diskutiert worden, zum Beispiel in bezug auf eine Legalisierung?
Legalisieren kann man ihn nicht, um das noch mal klarzustellen. Das Wichtigste sind EG-rechtliche Bestimmungen, die dagegen stehen. Wir sind Teil der EG. Jetzt kommen aus Nicht-EG-Staaten Waren nach Berlin-West. Solange das in einem begrenzten Umfang geschieht, schaut keiner hin. In dem Augenblick, wo das aber Größenordnungen erreicht wie beim Polenmarkt - und die beliefen sich laut Schätzungen zuletzt darauf, daß pro Woche fünf Millionen Mark umgesetzt wurden - würde das, wenn man es kanalisiert, bedeuten: In Berlin besteht auf EG-Boden eine Freihandelszone. Wir sind gehalten, so etwas nicht zuzulassen. Darum war die Möglichkeit, die wir ins Auge gefaßt hatten, nämlich einen Zaun aufzustellen und Standgebühren zu verlangen, nicht möglich.
Sie wollten also den Markt gerne kanalisieren, wobei Ihnen aber die EG-Richtlinie dazwischengekommen ist?
Wir wußten schon früh, daß eine Legalisierung nicht möglich sein würde, aber wir sind dann beim Versuch einer Kanalisierung gebremst worden.
Aber diese Probleme waren doch von Anfang an bekannt - wo bleibt denn da die Phantasie des Finanzsenators und des rot -grünen Senats überhaupt, den veränderten politischen Situationen in Ostblock-Ländern Rechnung zu tragen?
Wir könne Phantasie nur im Rahmen der Rechtsgrenzen walten lassen.
Nach der BKO 7/67 dürfen Osteuropäer zu Zwecken des Tourismus, der Wissenschaft und des Handels 31 Tage ohne Visum nach Berlin einreisen. Diese Alliierte Verordnung ist doch unterschiedlich auslegbar. Warum spielte sie beim Verbot des polnischen Krempelmarktes keine Rolle?
Die Interpretation ist eindeutig. Wir wollen natürlich Handel. Aber es gibt eben zwei Arten von Handel, den legalen, normalen Handel wollen wir ja vorantreiben. Dann gibt es eben auch einen Schwarzmarkt, Schieber, und die wollen wir nicht haben. Wir wären ja nie dagegen eingeschritten, wenn nur Tante Hildegard gekommen wäre, um Omas Leuchter zu versilbern, meinetwegen täglich 60 Leute aus Polen hier kleine Sachen verkauft hätten. Wenn das aber in großem Maßstab passiert - und ich zitiere Polen -, eine Mafia anfängt, einen Handel zu organisieren, müssen beide Seiten, auch die polnische Seite, eingreifen.
Ich halte das für ein Stereotyp, in diesem Zusammenhang von Mafia zu reden...
Das kann man aber belegen.
Im Moment will ich auf etwas anderes hinaus. Mir scheint es logisch, daß solch ein in großem Maßstab stattfindender Handel doch durch Legalisierung am besten eingegrenzt werden kann.
Nein, er weitet sich aus, solange es dieses Währungsgefälle gibt, der Zloty nicht konvertierbar ist.
Und was haben wir jetzt, welchen Eindruck hinterläßt das Verbot?
Sie haben doch die Meldungen heute über die Versorgungslage in Polen gelesen. Was sagen Sie denn zu dem ständigen Warenabfluß aus Polen? Damit wird doch hier der Einstieg in ein Devisengeschäft gemacht. Das bringt dann wenigen Bevorzugten die Möglichkeit, in Polen auch Daimler zu fahren.
In einem Interview hat der Vorsitzende der Gesellschaft Solidarnosc hier in West-Berlin das gerade angezweifelt, was Sie behaupten.
Aber der Augenschein schwerer Wagen deutscher Herkunft mit polnischen Kennzeichen müßte doch vom Gegenteil überzeugen.
Ich sehe hauptsächlich diese kleinen Polski-Fiat... Warum gibt es nicht längst umgekehrt einmal in der Woche, etwa bei Frankfurt an der Oder, einen Markt von West-Berliner Händlern, vom Fleischer bis zum Kurzwarenstand? Alle reden vom Ost-West-Handel, aber tatsächlich geht er ja gerade auch wegen des Währungsgefälles und der Wirtschaftslage in osteuropäischen Ländern zurück.
Er ist deswegen zurückgegangen, weil die Angebotsseite bei den RGW-Staaten zurückgegangen ist. Sie bieten nichts an, was konkurrenzfähig ist.
Aber das bedeutet doch, daß die Reden über den Ost-West -Handel, das gemeinsame europäische Haus, nur Gerede sind. Der einzige Ost-West-Handel, der sich ausweitet, ist der Schwarzmarkt.
Und jetzt soll der Finanzsenator von Berlin ja zum Schwarzmarkt sagen, oder wie oder was...?
Ich habe Ihnen keine Ratschläge zu erteilen (ach so, Max, dann habe ich dich ganz falsch verstanden..., d.K.), mir ist es einfach zu wenig, dieses Thema auf dem Niveau von existierenden EG-Richtlinien abzuhandeln. Wer hätte denn ernsthaft interveniert, wenn die EG-Richtlinien einfach nicht beachtet worden wären?
Zum Beispiel das Bundesministerium für Wirtschaft und das für Finanzen. Die haben darüber zu wachen.
Wäre da keine Kulanzlösung möglich gewesen?
Etwas, das täglich die Schlagzeilen beherrscht, sogar im Bundestag behandelt wird, darüber kann man doch nicht hinwegsehen.
Ist es jetzt für Sie ein haltbarer Zustand, wenn die Leute so versprengt in mehreren Stadtteilen, in Nischen, in BVG-Häuschen handeln? Ist das Verbot wirklich das letzte Wort gewesen?
Für den Schwarzmarkt, ja. Aber wir hoffen auch, mit Hilfe der polnischen Öffentlichkeit zu einer Situation zu kommen, in der der organisierte Schwarzhandel von polnischer Seite erkennt, es lohnt sich nicht in Berlin, er wird zurückgewiesen. Dann kommen nur noch die polnischen Touristen.
Haben Sie eigentlich keine Angst davor, daß die Polen eine Freihandelszone einrichten, um Stettin herum, das wird doch geplant. Dann wird die Attraktivität von West-Berlin nicht nur für die Polen, sondern überhaupt, noch mehr abnehmen.
Es gab ja Überlegungen in Sachen Freihandelszone Berlin. Mein Vorgänger im Amt hat das prüfen lassen und mit der Bundesregierung und der EG abgeklärt. Es bringt für Berlin weniger Vor- als Nachteile, wenn Berlin selber Freihandelszone wird.
Dann war das Verbot des Marktes eine Reaktion auf die Stimmung in der Bevölkerung?
Auch.
Der Trödelmarkt war natürlich geeignet, antipolnische Stimmung zu provozieren, unter anderem wegen des Mülls, der hinterlassen wurde. Aber die latent vorhandene Stimmung hätte doch wenigstens dadurch eingedämmt werden können, daß der Müll beseitigt worden wäre und zum Beispiel sanitäre Einrichtungen aufgebaut worden wären.
Das mit dem Müll ist in den letzten 14 Tagen, bevor wir diesen Verbotsbeschluß fassen mußten, besser geworden. Die BSR hat abends den meisten Müll weggeschafft.
Würden Sie sich den Schuh anziehen, daß durch zu spätes Reagieren, etwa in der Frage der Reinigung des Platzes, erneuter Polenhaß begünstigt wurde ?
Wir waren ja damit beschäftigt, den Markt zu kanalisieren, und haben diesen ungeordneten Zustand als ein Provisorium angesehen, von dem wir hofften, es in der nächsten Woche zu beseitigen.
Barbara John hat vor ein paar Monaten erklärt, mit den Reiseerleichterungen für die Polen sei die Zahl der polnischen Asylbewerber rapide zurückgegangen. Rechnen Sie wieder mit einem Ansteigen von Asylanträgen?
Die Polen können doch weiter zu Besuch kommen. Die Prämisse ihrer Frage stimmt nicht. Ich gehe davon aus, daß der Hauptgrund, sein Land für immer zu verlassen, die fehlende Freizügigkeit ist. Wenn die hergestellt ist, fällt der Drang, das Land für immer zu verlassen, weg. Und an der grundsätzlichen Situation hat sich ja für die Polen jetzt nichts verändert, auch wenn der Schwarzmarkt in Berlin-West nicht mehr möglich ist.
Interview: anb/mtm
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen