: BITTE DANKE ABER GERN
■ „Theater zum Westlichen Stadthirschen“ spielt „Die Verabredung“
Es beginnt mit einem Spiel, einem Mitmachspiel. Jeder sagt ein Wort, setzt den Endlossatz weiter fort, bis unvermeidlich eine hängenbleibt: „Versteh‘ ich nicht...“ Der Bann ist gebrochen, das stille Einverständnis, ein Ritual zu zelebrieren, ist obszön gestört worden. Vielleicht könnte dieses Gruppenritual nicht immer wiederholt werden ohne diese Außenseiterin, die nie etwas dazulernt: sie bleibt immer wieder an der gleichen Stelle hängen.
Soziale Verhaltensweisen am Fußballfeld, am Stammtisch, im Büro aufzuzeigen, ist inzwischen geradezu banal, jeder durchschnittliche Intellektuelle, oder wer sich dafür hält, schmeißt permanent mit pseudopsychologischen Plastikpistolen namens „Hackordnung“, „unterbuttern“, „Gruppenzwang“ um sich, ob's um RAF oder die WG geht. Ganz nebenbei geht dabei der Sinn für natürliche Kommunikation verloren und wird durch Spielregeln ersetzt. Im Hochsicherheitstrakt der Konvention dienen sinnlose Spiele der Ersatzbefriedigung.
Ein gewöhnlich hoher Perfektionsgrad wird bei Klassentreffen, Politfeten und anderen Veteranenabenden erreicht, mit Name-dropping und Liederabsingen. In der Verabredung tauchen viele solche konkreten Situationen überspitzt, reduziert und abstrahiert wieder auf. Drei Frauen und zwei Männer lösen sich aus ihrer Vereinzelung, um mit tiefstem Ernst einen Schlager zu raten. Ausgerechnet mit dem Autoschlüssel, dem Fetisch von Freiheit und Abenteuer, klopft einer in ehrfurchtsvoller Konzentration den Takt, bis das letzte Geheimnis der Zivilisation, die „Schöne Maid, hast du heut...“ gelüftet ist. So absurd, zwischen Trivialität und Wahrheit spielt das ganze Stück eine Geschichte ohne Handlung ab, das Lachen der ZuschauerInnen zeugt von beängstigendem Wiedererkennungswert.
Die Gegenwart dieser fünf nicht jungen/noch nicht alten Personen in damenhaftem Kostüm und schwarzem Anzug, die sich zu keinem erkennbaren Zweck als zu einer „Verabredung“ zusammengefunden haben, ist längst farblos, Staffage für das eigene unerfüllte Selbst geworden. Julia (Adriana Altaras), die immer wieder, von den übrigen mißbilligt, aus der Rolle fällt, versteht die Langeweile nicht: „Man hat doch sich selbst.“ Dafür bleibt die Berührung durch den andern aus. In einer stark stilisierten Szene zwischen der zickigen, ein bißchen dummen Julia und dem schüchternen Aufreißer Peter (Axel Pape) werden die aufgeklärten postfeministischen Spielregeln auf die Spitze getrieben: „Darf ich mich auf Ihren Schoß setzen?“ - „Ja, gern.“ - „Danke.“ - „Bitte.“ usw. Bis zum Schenkelgriff mit vorher fragen. In dieser völlig durchrationalisierten, scheinbar gewaltfreien Kleingruppe normaler Erwachsener findet weder Erotik noch fortschrittliches Denken statt. „Denken“ versackt zwischen anachronistischen Zoten und falscher Romantik. Da kann sich einer tatsächlich nicht entscheiden, ob er es lieber hat, wenn er unten steht und die Frau zu ihm runterkommt, oder er oben wartet und die Frau zu ihm raufkommt. Endstation Sehnsucht ist längst Alltag, räsoniert ein anderer, alle verhalten sich im Leben wie im Film und gehen ins Kino, um zu leben.
Dem schwimmenden Realitätsgefühl dieser Personen entspricht ein schattenhaft ausgeleuchtetes Bühnenbild, das die weiß verkleidete Fabriketagen-Säulenwand als Fluchtlinie in eine nach hinten verengte Perspektive zwingt. Im Hintergrund führen ein paar Treppen in einen imaginären Horizont einziger Hinweis auf eine denkbare konkrete Spielsituation „einsame Insel“ -, an dem die Fünfergruppe irgendwann taschentuchwinkend einem Dampfer nachsieht. Kein realer Raum scheint hier konzipiert, keine realen Individuen spielen da, sondern genau beobachtete Stereotypen, die sich permanent selbst beobachten. Szenen dieses kühlen, kalkulierten Miteinanderumgehens steigern sich in eine perfekte Choreographie. Julia fängt zu essen an, vorwurfsvoll beobachtet und kommentiert („Du willst also wieder essen, ohne uns etwas abzugeben“), bis immer mehr dazukommen und kollektiv im Takt ins Knäckebrot beißen.
Die ästhetische Perfektion dieser Spielfiguren auf einem Brett läßt nie vergessen, daß es ein intelligentes, aber kühles Gedankenspiel ist. Die Beziehungslosigkeit der Figuren, die schweigend in der Ecke, auf einem Podest, im Vordergrund dringend auf etwas zu warten scheinen und hin und wieder nur aus ihrer angestrengten Lethargie erwachen, um ein unsichtbares Insekt zu verscheuchen, wirkt sehr artifiziell. Letztlich spielt nicht nur eine Generation von Großstadtyuppies, sondern auch ein fast chronisch erfolgreiches Off-Theater sich selbst, aber diese Selbstbefriedigung hat etwas von Parthenogenese.
Dorothee Hackenberg
„Die Verabredung“ mit Adriana Altaras, Johannes Herrschmann, Axel Pape, Antje Siebers, Elisabeth Zündel. Regie: Thea Dumsch, Bühne: Urs Hildebrand, Kostüme: Gioia Raspe, Musik: Wolfgang Böhmer. Bis zum 30. Juli, Mi-So 21 Uhr, im Theater zum Westlichen Stadthirschen, Kreuzbergstraße 37. Vorbestellungen unter 7857033
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen