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Bildung statt Sonnenbad

■ EG-Beamte wollen Touristenströme entzerren / 1990: „Europäisches Jahr des Fremdenverkehrs“

„Europa zu jeder Jahreszeit“ bewarb kürzlich eine Anzeigenserie der EG-Kommission, die in der Presse aller Mitgliedsstaaten erschien. „Wer die EG-Partnerländer in der Vor- und Nachsaison besucht, hat mehr davon: kleine Preise, ein vielseitiges Kulturangebot, herzliche Aufnahme“ - das verspricht die Abteilung für Tourismus der Brüsseler Behörde. Ihr Anliegen: Sie will den europäischen Fremdenverkehr entzerren - geographisch wie zeitlich.

Das negative Extrembeispiel: die vollkommen überlasteten Küstengebiete der Mittelmeerländer in den Sommermonaten. 62 Prozent der europäischen Urlauber verreisen im Juli und August - und die meisten zieht es in den Süden. Die Folgen sind Engpässe auf Autobahnen und Flughäfen, Urlaubsorte, die aus allen Nähten platzen, Schlangen vor den Restaurants, überfüllte Strände und wachsende Umweltbelastungen. „Um einer Übersättigung zu begegnen“, heißt es in einem EG -Papier, sei eine europaweite Staffelung der Ferienzeiten dringend erforderlich.

Die Brüsseler Beamten möchten „neue Formen des Fremdenverkehrs“ unterstützen, die einer „zeitlich und räumlich besseren Verteilung des Tourismus entgegenkommen“. Ein Leitfaden für „Sozialtourismus“ soll benachteiligten BürgerInnen helfen, in die Mitgliedsländer der EG zu reisen. Eine ähnliche Broschüre für „Landtourismus“ soll die Ferien auf dem Bauernhof populärer machen. Die Förderung des relativ klimaunabhängigen „Bildungstourismus“ soll die Europäer animieren, nicht nur im Hochsommer zu verreisen und ihnen zugleich den „Reichtum ihres gemeinsamen kulturellen Erbes bewußt“ machen.

Fünf Millionen Ecu, also rund zehn Millionen Mark, läßt sich die EG-Kommission das für 1990 geplante „Europäische Jahr des Fremdenverkehrs“ kosten. Mit Hilfe des Tourismus will Brüssel für den Binnenmarkt werben. Denn europäisches Bewußtsein, durch Butterberge und Milchseen arg lädiert, spüren viele EG-Bürger am ehesten im Urlaub. 50 Millionen Eruopäer besuchen pro Jahr mindestens einmal ein anderes Mitgliedsland der Gemeinschaft. Rund zehn Millionen Menschen, das sind sieben Prozent aller EG-Beschäftigten, arbeiten im Tourismus - bei steigender Tendenz.

Nicht nur den Fremdenverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten, sondern auch die „Drittlandsmärkte“ will die EG-Kommission ankurbeln. Um mehr Urlauber aus dem außereuropäischen Ausland anzulocken, planen die Tourismus-Beamten eine koordinierte Werbekampagne. Vor allem in den Vereinigten Staaten und in Japan wollen die EG-Länder demnächst gemeinsam auftreten - entsprechend der dort vorherrschenden Devise: „We've done Europe in ten days!“

T.G.

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