: Ein überfälliger Freispruch
■ In der Revisionsvernandlung auf Nord-Zypern sind Ute und Melanie Loh freigesprochen worden
Endlich! Ute und Melanie Loh sind freigesprochen. Nach einem schockierenden Urteil in erster Instanz, in dem die Richter nur die Verletzungen am Genital des Mannes sahen, der tödlichen Gefahr für die Frauen aber keine Beachtung schenkten, haben sie nun ihr Recht bekommen. Daß ihre verzweifelte Tat, die zum Tod des Vergewaltigers führte, vor Gericht als Notwehr anerkannt wird, hatte nach dem ersten Schuldspruch niemand mehr zu hoffen gewagt.
Was muß eigentlich alles passieren, damit in solchen Situationen die Notwehr von Frauen anerkannt wird, fragten sich viele Frauen zutiefst empört und organisierten für Ute und Melanie Loh eine breite Solidaritätskampagne. Dieser Freispruch ist ein Sieg der Öffentlichkeit, die Frauen herstellten. Mit ihrer Kampagne sorgten sie für die Öffentlichkeit, die es im Prozeß selbst nicht gab. Die zypriotischen VerteidigerInnen von Ute und Melanie Loh waren unerfahren mit Vergewaltigungsprozessen. Sie wußten nicht, daß das keine „normalen“ Prozesse sind, sondern dabei das ganze schreckliche Szenario vor Gericht wieder aufgerollt werden muß. Weil nur so Richtern ein Quentchen Einfühlung und Verständnis abgerungen werden kann. Erst über die deutschen Medien, die in der Türkei und in Nordzypern aufmerksam verfolgt werden, konnten die Richter von der Brisanz des Falles Loh überzeugt werden.
Die Zyprioten fürchteten auch die negativen Schlagzeilen, in die ihre Insel durch diesen Prozeß geraten war. Zu einem Tourismus-Boykott hatte zwar keine Frau offiziell aufgerufen, trotzdem schwebte diese Drohung über der Insel. Doch selbst ohne Aufruf wären bei einem erneuten Schuldspruch in der Revisionsverhandlung auf absehbare Zeit wohl kaum noch Frauen, die alleine oder zu zweit unterwegs sind, dorthin gereist.
Trotz aller Erleichterung und Freude über den Freispruch: eine Spur Bitterkeit und Traurigkeit bleibt. Zu viel wurde Ute und Melanie Loh angetan. Ohne jegliche Schuld wurden sie brutal überfallen, überlebten nur schwer verletzt und mit einem Tötungsdelikt belastet. Als sie Hilfe und Unterstützung dringendst brauchten, wurden sie bestraft: Psychisch und physisch am Ende wurden sie in den Knast gesteckt und „schuldig“ gesprochen. Ein Alptraum war Wirklichkeit geworden.
Deshalb ist nach diesem Freispruch noch längst nicht alles gut. Frauen, die gerne selbständig in fremde Länder reisen, sind tief verunsichert. Können sie es noch wagen, ohne männlichen Begleitschutz unterwegs zu sein? Und wenn sie es wagen, können sie sich noch unverkrampft bewegen? Viele Frauen überstanden bislang brenzlige Situationen häufig damit, daß sie sich selbst fest zuredeten, den Mann, falls er angreift, fertigzumachen. Jetzt ist sogar dieses Quentchen Sicherheitsgefühl in Frage gestellt. 200 Jahre nach der Französischen Revolution zeigt die Geschichte von Ute und Melanie Loh: noch immer lebt die Frau in der Herren Länder.
Gunhild Schöller
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