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Prima Leben unterm Stiefel

Montagsexperten kommen zu Wort: Enno Bohlmann  ■ Ü B E R L E B E N S B Ö R S E ‘ 8 9

Filmkritiker müßte man sein. Völlig losgelöst von jedweder Kontrolle schwebt er im brägenlosen Raum, krallt sich dort freiflottierende Null-Formulierungen, die an Dösbaddeligkeit nur noch von hohler Verlautbarungssprache überboten werden, und zimmert daraus Filmbesprechungen. Immerhin erhält dadurch der Begriff der Besprechung seinen ursprünglichen Sinn voll und ganz zurück. Von Zauberern oder Hexen durchgeführte Besprechungen (zum Beispiel einer Warze) werden auch mit einem sich geheimnisvoll gebenden Gebrabbel veranstaltet, das fern jeglichen Verstehens stattfindet. Nach einer solchen Besprechung ist ein Film demgemäß gesegnet, geheilt oder geächtet, in jedem Fall aber gezeichnet. Hier ein wenig „Kino total“, dort ein Hinweis auf die „Schwarze Serie“ (besser: „film noir“), schnell noch die „Magie der Bilder“ erwähnt und schon wieder sind 90 Minuten wegbesprochen.

Am schlimmsten steht es um die Filmkritiker, die sich metaphernmäßig voll was eingefangen haben. (Ich heiße Volker und habe Metaphern). Die meisten Filmkritiker finden den „pädagogisch erhobenen Zeigefinger“ in jedem Film bzw. finden ihn eben nicht. Mit einer rational nicht mehr faßbaren Kontinuität ist er schon seit Jahren in den Besprechungen dabei. Nicht mehr mit Metaphern ist die „streichelnde Kamera“ zu entschuldigen. Die Kamera streichelt hierbei Gesichter und Körper, meist die von Frauen (klar) und immer liebevoll (sowieso). Schon der Versuch, sich mit einem handlichen Fotoapparat zu streicheln, dürfte reichlich albern ausfallen, mit einer ausgewachsenen Filmkamera wird es vollends schwachsinnig. Wir haben es hier mit dem umgekehrten Bauknechtsyndrom zu tun. Frauen streicheln nicht länger Bauknechtmöbel, weil die wissen, was Frauen wünschen, sondern die Gerätschaft streichelt (wunschgemäß?) zurück. Bei Agnes Vardas Film über Jane Birkin sah gleich ein halbes Dutzend Filmkritiker streichelnde Kameras am Werk. Von verliebten Kameras war auch schon die Rede. Die „streichelnde Kamera“ hat jedenfalls alle Chancen, dem „erhobenen Zeigefinger“ den Rang der meist plazierten Dämlichkeit abzulaufen.

Zu diesen Prachtstückchen des filmkritischen Scharfsinns gesellt sich jede Menge schwabbeligger Wortbrei. Irritierende Mischungen zum Beispiel, überall irritierende Mischungen, mögen sie nun aus „poetischem Anarchismus“ und „dialektischer Verfremdung“ bestehen oder gleich aus „provozierender Härte“ und „sinnlicher Wärme“, irritierend ist allenfalls, wie diese Mischungen aus Hirnkollaps und Verblasenheit immer wieder ihren Weg auf das Druckpapier finden. Pate bei solcherart Schreibunfall steht zumeist das Paar „Intensität und Authentizität“, was sowas wie Urbi et Orbi sein muß.

Neben Mischungen stehen gleichberechtigt Entgrenzungen. „Genregrenzen“ werden „verwischt“, „aufgehoben“, „überschritten“ oder in hartnäckigen Fällen „gesprengt“. Melodram, Western und Thriller kommen so zueinander, um sich gleich wieder zu „vermischen“. Zuweilen steigert sich schon mal ein „intelligentes Kammerspiel zum wüsten Schauerroman“. Aber das macht nix, solange die „running gags“ (macht prima was her der Ausdruck) im richtigen „timing“ (eben) kommen. Schön ist es für Filmkritiker, wenn das Besprochene „unprätentiös“ ist. Ärgern tun sie sich, wenn sie „vertane Chancen“ aufspüren (ganz beliebt in letzter Zeit). Alles war vorhanden: gute Schauspieler, gutes Drehbuch, gute Kameraleute, guter Regisseur - und doch gepatzt. So was aber auch. Dafür entschädigen dann auch keine „kühl-eleganten Bilder“ mehr, was immer das auch sein mag.

Auf meiner persönlichen Bestenliste selbstverschuldeter Besprechungen steht zur Zeit folgende Spitzenformulierung unangefochten an erster Stelle: „Der Kopf stößt lautlos würgend rote Flüssigkeit aus, als würde er menstruieren.“ Einfach klasse.

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