Sorben - die DDR-Vorzeigeminderheit

■ Kulturelle Nischen für die 100.000 Sorben zwischen Bautzen und Cottbus / Sie werden als Beispiel erfolgreicher Nationalitätenpolitik vorgeführt / Sorbische Dörfer vom Braunkohleabbau bedroht

Südöstlich des Spreewalds, im Lausitzer und Oberlausitzer Gebiet zwischen Cottbus und Bautzen, existiert die einzige anerkannte Minderheit der DDR. Drei grüne Blätter, aus einem Baumstumpf wachsend, sind das Zeichen der Sorben. Die Wurzeln des Baumes symbolisieren die alten Volksstämme, deren größte die Lusizer, die Milzener und die Daleminzer waren. Ihr 1.000jähriges westslavisches Siedlungsgebiet reichte von Halle über Karl-Marx-Stadt nach Cottbus. Während des Mittelalters erzwangen die fränkischen und deutschen Ostkolonisatoren ihre Assimilierung. Auch in Bismarcks und Hitlers Reichen wurden sie unterdrückt. Deshalb versuchte die 1912 gegründete sorbische Dachorganisation „Domowina“ (Heimat) - ihr heutiger Sitz ist in Hoyerswerda - nach 1945 vergeblich den autonomen Anschluß an die CSSR oder an Polen. Ebenso mißlungen ist damals die Gründung einer eigenen sorbischen Partei.

Nach einer Weisung der Sowjets erließ der sächsische Landtag 1948 allerdings ein „Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung“. Seitdem werden den Sorben gewisse kulturelle Nischen gewährt. Es gibt einen eigenen Verlag, eine eigene Zeitung und als eigene politische Organisation innerhalb der Nationalen Front die „Domowina“. Etwa 100.000 Sorben soll es in der DDR noch geben. Diese Minderheit im 17-Millionen-Volk der DDR wird in jüngster Zeit von der SED als Beispiel für ihre „erfolgreiche Nationalitätenpolitik“ vorgezeigt - als Gegensatz zu den nationalen Spannungen in der UdSSR. Einige Gemeinden haben bis zu 90 Prozent Sorbenanteil. In etwa 60 Grundschulen und einer Erweiterten Oberschule wird sorbisch unterrichtet. Die Tageszeitung 'Nowa Doba‘ zählt 10.000 Abonnenten. Der Radiosender Cottbus strahlt Programme in sorbischer Sprache aus, Bautzen unterhält ein deutsch-sorbisches Theater, und im Dorf Heinersbrück gibt es ein sorbisches Museum. Ortstafeln sind zweisprachig: Cottbus und Chosebuz. Mehrere kleine Dörfer sind noch fest in sorbischer Hand. Dort pflegt man auch die alten Bräuche wie das „Osterwasserholen“ der Mädchen oder das „Osterreiten“ zu Pferde von Kirchgemeinde zu Kirchgemeinde. In den katholischen Kirchen wird sorbisch gepredigt: „Wimenje Woitza a Suijna“ (Im Namen des Vaters und des Sohnes...). Auch die alten Trachten und Kopftücher der Frauen, die Fracks und Zylinder der Herren, die Kirchenfahnen und Christusstatuen werden öffentlich vornehmlich im Rahmen von Folkloreveranstaltungen wie etwa bei den Spreewald-Festspielen im Sommer - vorgeführt.

In jüngster Zeit rückt die prekäre ökologische Situation dieses Gebiets ins Blickfeld. Bereits in den 50er Jahren entstanden großindustrielle Bauprojekte wie das Chemiekombinat „Schwarze Pumpe“. „Ist der Fortschritt noch Fortschritt, wenn er zerstört?“ fragte der bekannte sorbische Schriftsteller Jurij Koch.

Und im letzten Monat forderte der DDR-Schriftstellerverband die Regierung auf, die Pläne zum Braunkohleabbau zu überdenken. Vier sorbische Dörfer sind akut bedroht. Die christliche ökumenische Versammlung formulierte bereits im April auf ihrer Tagung in Dresden: „Der Braunkohle-Tagebau nimmt Menschen die Heimat, zerstört Landschaft, Kultur und soziale Strukturen.“ Aber die Sorben finden nicht nur Fürsprache. In Bautzen, ihrem Zentrum, macht sich Unmut Luft über „die Wendschen“. Gemeint sind die Alten, die wegen der Dorfzerstörung in Neubaugebiete umgesiedelt wurden. Sozialistischer Frust wird abreagiert an einer schwachen Minderheit. Dabei gäbe es in dieser Stadt tatsächlich etwas Störendes in der sorbischen Landschaft: Bautzen beherbergt zwei der größten politischen Knäste in der DDR.

Rüdiger Rosenthal