piwik no script img

„Eine mittelschwere Revolution“

Nach dem Titelgewinn bei der EM hoffen die bundesdeutschen Fußball-Frauen auf positive Impulse für ihren Sport  ■  Aus Osnabrück Beate Fechtig

Der Osnabrücker Ordner stand mit schweißperlenbedeckter Stirn am Eingang von Block S und versuchte mit ausgestreckten Armen die Leute am Betreten des Stadions zu hindern: „Ausverkauft, ich sag doch, voll!“ Drinnen flehte der Mikrofonmensch: „Bitte liebe Fußballfreunde (die Freundinnen hatte er wieder einmal vergessen), rücken sie noch ein bißchen zusammen.“

Letztendlich blieben dann ein paar Hundert draußen und eine nie erwartete Zuschauerkulisse von 22.000 jubelte drinnen: Die bundesdeutsche Nationalmannschaft gewann am Sonntag mit 4:1 gegen Titelverteidigerin Norwegen das Finale und damit die Europameisterschaft.

Zum ersten Mal übrigens in der Geschichte, die Rede ist ja vom Frauenfußball. Ein denkwürdiger Tag, denn mit dem Gewinn dieses höchsten internationalen Wettbewerbs (eine WM ist in der Planung) haben die deutschen Kickerinnen das „Klotz-am -Bein-des-DFB-Image“ abgelegt und sind endgültig hoffähig geworden.

„Wir haben damit einen riesen Schritt nach vorne gemacht“, meint Verteidigerin Sissy Raith, die ihre Karriere beendet und nach Neuseeland auswandert. „Das wird sich bis ganz unten in den Mädchenfußball hinein auswirken.“

Einen Boom wie das Beckersche Tennisfieber erwartet trotz der momentanen Euphorie keine ernsthaft. Aber wie in Norwegen kann es auch hierzulande nach dem ersten Titelgewinn das geben, was deren Trainer Erling Högstadt als eine „positivere Atmosphäre und ein paar gute Ideen für den Frauenfußball“ beschreibt.

Zu deutsch: mehr Geld, Sponsorentum auf Vereinsebene und Prämienregelungen für die Nationalmannschaft. Beschlossene Sache ist bereits jetzt für die kommende Saison die zweigeteilte Damen-Bundesliga, bisher gab es lediglich vier Regionalligen. „Eine gute Sache“, meint Trainer Gerd Neuser vom Siegener Erfolgsclub TSV, „denn die guten Eindrücke bei der Europameisterschaft nützen gar nichts, wenn den Zuschauern in normalen Punktespielen kein guter Fußball geboten wird. In der Regionalliga West treten wir manchmal gegen Gegnerinnen an, die nicht einen Schuß auf unser Tor bringen.“

60.000 Mädchen und Frauen gibt es hierzulande, aber nur zwölf Frauschaften haben es nach Neusers Einschätzung auf ein spielerisch-technisch ansprechendes Niveau gebracht. Was wohl weniger an dem an den Haaren herbeigezogenen Argument liegt, Frauen könnten wegen des tiefer liegenden Körperschwerpunkts nicht zum Fußballspiel geboren sein, sondern eher an der fehlenden Talentförderung.

Ein Beispiel: Ursula Lohn, die zweifache Torschützin gegen Norwegen. Nur durch eine Aneinanderreihung glücklicher Zufälle wurde die Rheinländerin vor sechs Jahren von Grün -Weiß Brauweiler entdeckt, nachdem sie sechzehn Jahre lang („seit ich laufen kann“) Straßenfußball gespielt hat. Ein Junge mit vergleichbarem Talent wäre wohl kaum so lange übersehen worden.

Immerhin: International haben sich Deutschlands Damen bei der Euro '89 einen Namen gemacht. Der Krimi gegen Italien war beeindruckend, der Sturmlauf gegen Norwegen (Tor Nummer drei und vier schossen Heidi Mohr und Angelika Fehrmann) die große Überraschung und alles in allem „eine mittelschwere Revolution“.

So jedenfalls sieht das Hannelore Ratzeburg, die beim DFB die Alibifrau und die Referentin für Frauenfußball ist. Vor ein paar Monaten noch hat sie bei ihrem Chef Neuberger um die Europameisterschaft betteln müssen.

BR Deutschland: Isbert (TuS Ahrbach) - Kuhlmann (SSV Schmalfeld) - Raith (TSV Siegen), Nardenbach (TuS Ahrbach), Haberlaß (SSG Bergisch-Gladbach) ab 27. Bindl (Bayern München) - Fitschen (VfR Eintracht Wolfsburg) ab 62. Fehrmann (SSG Bergisch-Gladbach), Neid (TSV Siegen), Damm (VfR Eintracht Wolfsburg) - Voss (TSV Siegen), Mohr (SV Laudenbach), Lohn (Grün-Weiß Brauweiler)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen