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Arbeitslosenunrecht für Recht erklärt

Bundesrat beschließt neues Gesetz: bei der Arbeitslosenhilfe werden unterhaltspflichtige Verwandte wieder zur Kasse gebeten / Wer finanzstarke Eltern hat muß Putzjob annehmen / Gesetz verstößt vermutlich gegen den Gleichheitsgrundsatz und die Verfassung  ■  Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Bei der Arbeitslosenhilfe soll ab sofort wieder das Einkommen von unterhaltsverpflichten Familienangehörigen angerechnet werden, auch wenn diese tatsächlich keinen Pfennig an ihre arbeitslosen Verwandten zahlen. Das hat jetzt der Bundesrat beschlossen, indem er einem lang umstrittenen Änderungsparagraphen zum Arbeitsförderungsgesetz seinen Segen gab.

Die verabschiedete Gesetzesänderung soll für Recht erklären, was höchstrichterliche Rechtsprechung im letzten Herbst für Unrecht gehalten hatten: im September 1988 hatte das Bundessozialgericht in einem aufsehenerregenden Grundsatzurteil entschieden, daß unter bestimmten Voraussetzungen das Vermögen von Eltern, Ehepartnern oder Kindern nicht auf die Arbeitslosenhilfe angerechnet werden darf. Die bisherige Praxis der Arbeitsämter, die Arbeitslosenhilfe auch dann zu kürzen, wenn die Verwandten gar keinen Unterhalt zahlten, wurde für rechtswidrig erklärt. Bei den Arbeitslosen hatte dieser Richterspruch Jubel ausgelöst, bei der Bundesanstalt für Arbeit und beim Bonner Arbeitsministerium dagegen hektische Betriebsamkeit. Schließlich fürchtete man Mehrausgaben von 400.000 Mark. Die Arbeitsämter wurden angeweisen, das höchstrichterliche Urteil zu ignorieren, und eine in aller Eile zurechtgezimmerte Rechtsverordnung sollte den Fortbestand der alten - rechtswidrigen - Regelung garantieren. Die jetzt verabschiedete Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes, die geschickt als Artikel 2 des „Kriegsopferversorgungsanpassungsgesetzes“ getarnt wurde, entspricht im wesentlichen dieser Rechtsverordnung. Die jedoch ist in den letzten Monaten bereits von mehreren Gerichten als verfassungswidrig angezweifelt worden.

In knappem Bürokratendeutsch legt der neue Paragraph 137 des Arbeitsförderungsgesetzes fest, daß „nicht bedürftig ist“ und damit keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hat, wer auf seinen Unterhaltsanspruch gegenüber Verwandten verzichtet oder „Handlungen unterläßt, die Voraussetzung für das Entstehen oder Fortbestehen eines derartigen Anspruch sind.“ Im Klartext bedeuten diese verschrobenen Sätze nicht nur, daß Arbeitslose nun Eltern oder Ex-Gatten mit Unterhaltsklagen vor den Kadi zerren müssen. Die Regelung verlangt darüberhinaus auch, daß Arbeitslose mit betuchten Familienangehörigen in Zukunft bereit sein müssen, Jobs unterhalb ihres Qualifikationsniveaus anzunehmen und notfalls auch den Wohnort zu wechseln. Lehnen sie eine solche Arbeit ab, verwirken sie nämlich ihren Unterhaltsanspruch gegenüber den Angehörigen, und die Arbeitslosenhilfe kann ihnen nicht nur gekürzt, sondern sogar gänzlich gestrichen werden. Mit dieser Regelung wird die sogenannte Zumutbarkeitsanordnung der Arbeitsämter, die bisher vor bestimmten Jobs schützte, für die große Gruppe von Arbeitslosen mit unterhaltspflichtigen Verwandten faktisch außer Kraft gesetzt. Kritiker sprechen deshalb auch von einem Zweiklassenrecht für Arbeitslose.

Gewerkschaften, Arbeitsloseninitiativen und kommunale Verbände sehen in der neuen Regelung deshalb auch einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes. Auch der zuständige Ausschuß des Bundesrates, in dem die SPD -regierten Bundesländer eine knappe Mehrheit haben, hatte die Gesetzesänderung strikt abgelehnt. Das Plenum des Bundesrates mit seiner CDU-Mehrheit setzte sich jetzt jedoch über dieses Votum hinweg und stimmte zu. Ganz wohl scheint den Parlamentariern dabei jedoch nicht zu sein. In weiser Voraussicht wohl auf eine zu erwartende Klage beim Bundesverfassungsgericht hat man die neue Regelung bis Ende 1992 befristet.

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