: Herr N., Herr Sch. und gewisse berufliche Überlegungen
■ Henryk M. Broder sagt deutlich, was er vom Zwist zwischen Nachama und Stölzl hält: Er will nicht für andere die Kartoffeln aus dem Feuer holen / Es geht um angeblich antisemitische Bemerkungen in einem 14 Jahre alten Buch des Direktors des Deutschen Historischen Museums
Vor ein paar Tagen bekam ich ein Fax nach Jerusalem geschickt. Der Absender war nicht lesbar, ganz oben auf dem Blatt stand „Berliner Festspiele“. Toll, dachte es in mir, eine Einladung nach Berlin. War schon lange nicht mehr da.
Das Fax fing so an: „Sehr geehrter Herr Broder! Schon seit einiger Zeit ist mir der Aufbau des Deutschen Historischen Museums ein Dorn im Auge. Herr Dr. Stölzl, der als Generaldirektor berufene Chef des Hauses, gab mir nun vor einiger Zeit Anlaß nachzulesen, wie er mit der Geschichte der Juden umzugehen gedenkt. Dabei fand ich das in einigen markanten Auszügen beiliegende Werk. Gerne würde ich mich selbst mit Herrn Dr. Stölzl auseinandersetzen, aber meine Feder ist bei der Presse nicht so gefragt (und gefürchtet) wie Ihre. Also stelle ich Ihnen das Thema anheim...“
Weiter hieß es in dem Fax, Herr Dr. Stölzl berufe sich „zum Beleg seiner reinen Gesinnung gerne auf eine jüdische Abstammung“, obwohl er nicht Mitglied der Jüdischen Gemeinde sei; außerdem wurde er soeben zum stellvertretenden Vorsitzenden der Berliner FDP gewählt, wo er „für die geistig-moralische Erneuerung zuständig“ wäre.
Dem Schreiben lag ein weiteres Blatt bei, mit neuen Zitaten aus einem Buch jenes Dr. Stölzls, das schon 1975 erschienen war. Sollte hier ein Antisemit 14 Jahre lang unbemerkt sein Unwesen getrieben haben? Nun duldete die Sache keinen weiteren Aufschub, deswegen das Fax. Es war mit „Shalom“ unterschrieben; es dauerte eine Weile, bis ich die Unterschrift von Herrn N. rekonstruiert hatte.
Ich kenne Herrn N. persönlich überhaupt nicht, ich habe ihn noch nie gesehen, noch nie gesprochen. Ich weiß auch nicht, warum er sich an mich wendet, wenn ihm das Deutsche Historische Museum in Berlin ein Dorn im Auge ist und dessen Direktor vor 14 Jahren ein Buch veröffentlicht hat, das möglicherweise antisemitisch ist. Ich weiß nur eins: Diese Geschichte erinnerte mich an was, ich hatte ein Deja-vu. Was war es nur?
Ende des Jahres 1985 habe ich einen ähnlichen Brief aus Frankfurt bekommen. Dort lief gerade die Faßbinderaffäre, die ich aus sicherer Entfernung mit großem Vergnügen verfolgte. Und da schickte mir jemand eine Sammlung von Zitaten - des Frankfurter Intendanten Rühle. In diesen Zitaten war, auf Juden gemünzt, von einem „Ende der Schonzeit“ die Rede. Ich schrieb darüber, und Rühle klagte gegen mich. Der Prozeß endete mit einem relativ peinlichen Vergleich für Rühle (ich darf nicht behaupten, er habe von einem „Ende der Schonzeit“ gesprochen, ich darf dagegen behaupten, er habe gesagt, Juden dürften nicht „in einen Schonraum“ beziehungsweise einer „Schonzone“ gehalten werden; es lebe der feine Unterschied), aber der praktische Verlierer in dieser Sache war ich. Nicht nur, daß ich zweimal zu Gerichtssitzungen nach Frankfurt anreisen mußte, Rühle hatte Rechtsschutz von der Stadt bekommen, sie bezahlte seinen Anwalt, die Kosten der Einstweiligen Verfügung, die er einstecken mußte, alles. Hinter mir stand dagegen das gesamte Weltjudentum, nur merkte ich nichts davon. Ich blieb auf meinen Kosten sitzen, und jene, die gemeint hatten, ich müßte in dieser Sache unbedingt etwas unternehmen, hatten es auf einmal ganz eilig, sich mit der Stadt Frankfurt auszusöhnen, die ganze Affäre so schnell wie möglich zu begraben. Sie hatten ihren Spaß gehabt, eine Theateraufführung gesprengt, nur auf die Dauer sollte der ruhige Gang der Geschäfte nicht gestört werden. Vom letzten Gerichtstermin in Frankfurt wieder in Jerusalem angekommen, ging ich an die Klagemauer und legte einen Schwur ab: „Nie wieder!“ Diese verschissenen Kleinbürger haben nicht nur die Gemeindefunktionäre, sondern auch die Antisemiten, die sie verdienen. So soll es sein, so hat es seine Richtigkeit.
Und nun lag dieses Fax aus Berlin vor mir, in dem Herr N. nur ein Thema „anheimstellte“, das er liebend gerne selbst bearbeitet hätte, wenn er nicht überzeugt wäre, daß ich dafür besser geeignet wäre. Ich bin von Natur aus nicht mißtrauisch, aber so viel Großherzigkeit kam mir ein wenig verdächtig vor. Warum gerade ich? Warum nicht Prof. Dani Diner? Oder Prof. Micha Brumlik? Oder Prof. Michael Wolfsohr? Ich hab‘ doch nur das Abitur, sonst nix.
Ich rief Malte in Hamburg an und bat ihn, Herrn N. in Berlin ausfindig zu machen, ihn anzurufen und ihm zu sagen, er solle mich anrufen. Am nächsten Tag rief Herr N. mich an. Er wiederholte die ganze Geschichte und meinte, das wäre doch genau ein Thema für mich, von wegen „der ewige Antisemit“ usw. „Bevor ich es vergesse“, sagte Herr N. zwischendurch, „schönen Gruß von Sch., er sitzt gerade neben mir.“ Sch. kenne ich, er ist Professor für Geschichte und eine überaus aktive Figur im deutsch-jüdischen Milieu. Er leitet ein Institut, veranstaltet Tagungen und Seminare, sitzt in etlichen Gremien, berät Verlage und kann es nicht ausstehen, wenn er übersehen wird. Auch Sch. mag sich diesmal nicht exponieren, so viel Zurückhaltung paßt gar nicht zu ihm.
Ich sitze also in Jerusalem, und N. und Sch. sitzen in Berlin und sind sich einig: Ich soll die Geschichte machen, Dr. Stölzl an seinen eigenen 14 Jahre alten, bis jetzt unbeanstandeten Zitaten aufzuhängen. Ich frage N., warum er sich die Finger nicht selbst schmutzig machen will. Oder warum Sch. die Sache nicht aufgreift, er hat Zugang zu denselben Medien wie ich, seine Feder ist zwar schlechter, aber nicht weniger gefragt als meine, schließlich ist er ein Professor. N. druckst rum, sucht nach Worten, endlich meint er, da gäbe es „gewisse berufliche Überlagerungen“, die andere davon abhalten würden, in dieser Angelegenheit was zu unternehmen.
Ich verstehe. Stölzl, ob er nun ein Antisemit ist oder nicht, verwaltet eine wichtige Position. Er sitzt auf vielen Etats, kann Aufträge vergeben, Jobs verteilen. Mit so einem legt man sich nicht an. N. und Sch. sind zwar Juden, aber zuerst sind sie Angehörige derselben Zunft wie Stölzl. Sie möchten es nicht riskieren, von seinen Pfründen ausgeschlossen zu werden. Ich hingegen gehöre nicht dazu, ich muß nicht befürchten, keinen Forschungsauftrag und keinen Werkvertrag zu bekommen. Ich bin ein freischaffender Arsch. Und deswegen soll ich für diese vollkaskoversicherten Frührentner, die fest angeschallt auf ihren BAT-Stühlen sitzen, damit sie beim Diktieren nicht umkippen, den Clown machen. Geht's gut, haben die den Nutzen - geht's schief, hab‘ ich den Schaden.
Vielen Dank, Chewre (Freunde), alles hat seine Grenzen auch mein Sinn für jüdische Solidarität.
Henryk M. Broder
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