: Die Anderen: Le Echos / Ya: USA - Recht auf Abtreibung / Guardian / Financial Times: Gorbatschow-Besuch in Frankreich
Le Echos
Die französische Wirtschaftszeitung kommentiert die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA, das Recht auf Abtreibung einzuschränken.
Die zwiespältige Befriedigung der „Verteidiger des Rechts auf Leben“ und die bitteren Proteste der „Anhänger der freien Wahl“ beweisen, daß der Oberste Gerichtshof trotz seiner ostentativ konservativen Grundhaltung zweifellos auf der richtigen Linie gelegen hat. Indem es seine Entscheidung aus dem Jahr 1973 über die Legalisierung der Abtreibung nicht rückgängig machte, hat das Gericht die Verteidiger des ungeborenen Lebens zutiefst enttäuscht. Aber ebenso enttäuscht hat es auch die Organisationen, die das Recht der Frauen auf die Kontrolle ihrer Kinderzahl - einschließlich durch Abtreibung - verfechten. Die Vorwürfe, die dem Obersten Gerichtshof gemacht werden, erklären sich durch die Leidenschaft der Debatte, die seit einiger Zeit Amerika erschüttert. Die Anhänger beider Lager sind von einem Geist beflügelt, der an Kreuzzüge und alle damit verbundenen Exzesse erinnert. Es ist damit zu rechnen, daß sich bald ein Dutzend Bundesstaaten dem Vorbild von Missouri anschließen werden, und man kann sich bereits auf erbitterte Auseinandersetzungen zwischen beiden Lagern gefaßt machen. Daher gibt es nur eine Lösung: die noch zu sehr zögernden Politiker müssen eingreifen, um die Leidenschaften in die Schranken des Angemessenen und der legalen Institutionen zu weisen.
Ya
Zum gleichen Thema meint die katholische spanische Zeitung:
Die USA wägen oft zwischen Freiheiten oder Modeerscheinungen und dem Puritanismus ab. Ich bin für den Puritanismus, der für die Bewahrung der Ordnung in Gesellschaft und Familie eintritt. Und ich akzeptiere, daß es manchmal Untreue oder Exzesse gibt, denn der Phantasie von Mann und Frau sind mitunter schwer Grenzen zu setzen. Aber wenn es um die Freiheit als Verhaltensweise und um die Gesellschaft als kulturell hochstehend Land geht, müssen wir sagen und nicht verschweigen, daß die ungerechtfertigte Abtreibung ein Verbrechen ist.
The Guardian
Der liberale britische „The Guardian“ fragt, warum Gorbatschow bei seinem Frankreich-Besuch nicht die Begrüßung erhielt wie in der BRD.
Die einfachen Gründe sind Ablenkung, Stolz und Skepsis. Die Franzosen sind dabei, ihre Revolution zu feiern. Die Welt, einschließlich der Teilnehmer am Wirtschaftsgipfel, kommt zu ihnen. Frankreich hatte von Anbeginn an das Gorbatschow -Phänomen mit Vorsicht aufgenommen und unterstrichen, daß er Berge überwinden müsse und daß die Führung wandelbar sei. Es sind jedoch tiefere Emotionen im Spiel. Französische Politiker waren daran gewöhnt, eine Sonderbeziehung mit Moskau zu haben. Sie ging unter Giscard zurück und verschwand praktisch unter Mitterrand. Paris fühlt sich etwas in den Schatten gestellt.
Financial Times
Auch die „Financial Times“ vergleicht die Gorbatschow -Besuche.
In praktischer und politischer Hinsicht erwarten wenige Menschen, daß Gorbatschows gegenwärtiger Besuch in Frankreich an die Bedeutung seiner kürzlichen Visite in Westdeutschland heranreicht. Dennoch erfreut sich Frankreich einer langen und politisch nachklingenden Beziehung mit der Sowjetunion, was besonders deutlich zum 200.Jubiläum der Revolution ist. Aber Frankreich kann sich nicht mit Westdeutschlands einzigartigem Status an der Grenze zwischen Ost und West vergleichen, der der Bonner Regierung eine solche Schlüsselrolle in Gorbatschows neuer Diplomatie gibt. Nicht nur, daß die westdeutsche Regierung eine zunehmend wichtigere und unabhängige Rolle gegenüber der Sowjetunion spielt, nicht zuletzt in der Kontroverse über die Modernisierung der Atomwaffen der Nato. Sie hat auch mehr Zuversicht in die friedlichen Folgen der Perestroika gezeigt als viele ihrer westlichen Alliierten.
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