: ERKLÄRUNGSNOTSTAND
■ Die Aufgabe der Armee muß immer wieder neu begründet werden
Die Aufgabe der Armee muß immer wieder neu begründet werden Zwar glauben wir keiner Statistik, die wir nicht selbst gefälscht haben, doch wenn das sozio-chemische Gehirnreinigungsmittel so offensichtlich mit der Wirklichkeit übereinstimmt wie in diesem Falle kann man es schon mal als bare Münze nehmen: 75% der bundesdeutschen Bevölkerung glauben nicht mehr an die „Bedrohung aus dem Osten“, 25% der Wehrpflichtigen verweigern den Kriegsdienst, 90% aller Rekruten halten den Dienst in der Bundeswehr für sinnlos. Vor wenigen Jahren sah das noch ganz anders aus: gerade mal 10% machten von ihrem Recht auf Kriegsdienstverweigerung Gebrauch, daß der Finsterling Breschnew nach Afghanistan expandierte, hielt die alte Nazi -Macke „Angst vorm Iwan“ lebendig und stiftete der militärischen Drohgebärde zumindest ein diffuses Flackern von Sinn. Spätestens seit Gorbatschow aber ist alles anders
-mit der „Bedrohung aus dem Osten“ ist kein (Militär-)Staat mehr zu machen. Und den (Militär-)Staatsmännern geht, um im Jargon zu bleiben, der „Arsch auf Grundeis“: Wie begründet man Manöver, Tiefflüge, Allgemeine Wehrpflicht und ein gigantisches Waffenarsenal, wenn weit und breit kein Feind mehr in Sicht ist, wie legitimiert man Jahr für Jahr die Erpressung von 50 Milliarden Mark Steuern, wenn die Zahlenden nicht mehr wissen, für (bzw. gegen) was sie verdammt noch mal da dauernd zur Kasse gebeten werden?
Die Aufgabe der Armee muß immer wieder neu begründet werden - so ist ein Aufsatz „Zur 'Akzeptanzkrise‘ der Bundeswehr“ überschrieben, den Verteidigungsminister Stoltenberg der Wochenendausgabe der 'Süddeutschen Zeitung‘ beigesteuert hat. (Man muß den Satz merhmals lesen und sich die Sinngebung des Sinnlosen auf der Zunge zergehen lassen!) Ein Foto zeigt uns den Verfasser vor einem Luftwaffen-Jet „in Sorge um die Bundeswehr“, drei Viertel des halbseitigen Artikels widmet der arbeitsplatzgefährdete Heerführer dem Zustandekommen des „sicherheitspolitischen Konsens in der Bundesrepublik“ - eine Beschwörung der Kalten-Kriegszeiten, als es leidige Legitimationsprobleme noch nicht gab und eine überwältigende Mehrheit die Militarisierung der BRD 1956 demokratisch abgesegnete. Dann, in der letzten Spalte: „Wir haben also keine 'Akzeptanzkrise‘, aber einen 'Erklärungsbedarf‘ der Bundeswehr...“. Daß irgendeine Erklärung (zumal für eine „weder auf 'Feindbilder‘ noch auf 'Bedrohungsszenarien‘ angewiesen(e)“ Armee) bis zu dieser nach einer Weichspülformel ringenden Behauptung im ganzen Artikel nicht gegeben wird, wundert nicht: sie müßte genauso ausfallen wie die Begründung, sich in einem wegen Vergiftungsfällen geschlossenen Restaurant mit Besteck zu bewaffnen. So schiebt Stoltenberg in seiner Not noch einen Gewehre segnenden Richard Weizsäcker nach, der empfiehlt, den Wehrdienst nicht Kriegsdienst zu nennen: „Er ist kein Kriegsdienst, sondern ein Kriegsverhinderungsdienst.“ Wenn aber die Verhinderung nur durch die Vorbereitung, wenn Angriff die beste Vorneverteididung... Lassen wir den „pseudo-moralischen Rigorismus“ (Stoltenberg) - den militärischen, industriellen, staatlichen Erklärungseiertanz (als echt-ethische Inkonsequenz), der uns künftig ins Haus steht, hat Werner Finkh schon ein für allemal getroffen: „Unsere Aufgabe kann nicht in unserer Aufgabe bestehen.“
Mathias Bröckers
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