: Vom Hochofen zur Camorra
■ Gesellschaftliche Verwerfungen wegen Stahlwerksschließung / Überlisten Italiener die EG doch noch durch schlitzohrige Hinhaltetaktik?
Teil 23: Werner Raith
Antonio Di Roberto, Gewerkschaftssekretär und „Kommunist bis in den letzten Winkel meiner Seele“, kann es noch gar nicht so recht fassen: „Zum ersten Mal ist denen das Richtige eingefallen“, lobt er, mit zusammengebissenen Zähnen allerdings, die Regierung in Rom, die er sonst eher als seinen persönlichen Feind betrachtet: „Endlich haben sie das einzig Senkrechte getan - nämlich nichts.“
Di Robertos Zustimmung gilt der Nicht-Präsenz italienischer Politiker bei der letzten Konferenz der EG-Industrieminister am 21. Juni: Da sollte just über einen italienischen Antrag entschieden werden, die für Ende des Monats versprochene Schließung des Stahlwerks Bagnoli bei Neapel um ein Jahr hinauszuschieben. Die EG will dafür allerhöchstens neun Monate Zeit geben, und auch das nur gegen harschen Protest ihres für Subventionsfragen zuständigen Kommissars Leon Brittan: Unwirsch erinnert der konservative Brite die Italiener - und in Rundschreiben auch alle möglicherweise nachgiebigen anderen Länder-Vertreter - daran, daß die Abschaltung der letzten Hochöfen in der westlichen Hafenzone vor Neapel 1987 schon für 1988 versprochen wurde und daß der 30. Juni 1989 verbindlich zugesagt war - als Gegenleistung für die Erlaubnis, der maroden Stahlwirtschaft des Landes gegen alle sonstigen EG-Regeln noch einmal gute sieben Milliarden Mark Subventionen zuzuschießen. 1987 hatten die Italiener mit den gerade anstehenden Neuwahlen argumentiert, und die EG war darauf eingegangen - schließlich wollte man die gerade wieder an die Macht gekommenen Konservativen nicht schädigen. „Ein schwerer Fehler“, wie Kommissar Brittan mittlerweile erkennt, „die haben das als Erfolg ihrer Schlitzohrigkeit angesehen und machen das nun immer wieder.“
Da mag er recht haben: Jedenfalls ist Italiens Industrieminister Battaglia diesmal mit einer ganz ähnlichen Entschuldigung der Debatte um den erneuten Aufschub fern geblieben: Da die Regierung vor kurzem zurückgetreten sei, könne sie auch „keine so weitreichenden Beschlüsse wie die Verminderung des vorgesehenen vollen Jahres auf neun Monate zur Schließung der Stahlwerke fassen“ - „als ob die EG -Kommission einen Rückzieher machen würde“, flucht Brittan, „und nicht die Regierung Italiens das gegebene Versprechen annullieren wollten“.
Daß die Italiener auf Zeit spielen, hat natürlich zum einen den Sinn, die erwarteten schweren Auseinandersetzungen in Neapel just in einer Zeit zu vermeiden, da die bisher regierenden Parteien (Christ- und Sozialdemokraten, Sozialisten, Liberale, Republikaner) durch einen nicht lange zurückliegenden Generalstreik wegen ihrer Steuer-, Gesundheits- und Steuerpolitik schwer im Ansehen gesunken sind.
Doch die Verzögerungstaktik hat auch noch einen anderen Hintersinn - und der heißt, glaubt man 'La Repubblica‘, schlichtweg „das Wunder“. Tatsächlich sind die seit mehr als einem Jahrzehnt - jedenfalls nach den Erklärungen gegenüber der EG - notorisch defizitären Eisen- und Stahlkocher des Staates (rund 75 Prozent der nationalen Produktion) urplötzlich hoch in die schwarzen Zahlen geklettert, und das grenzt wirklich an Wunder.
Phantasielose Experten wie der ehemalige Vorsitzende des Haushaltsausschusses Giuseppe D'Alema, haben aber auch zwei andere, weniger mirakulöse Erklärungen: „Entweder haben die vorher gefälscht, um Subventionen durchzuboxen - oder sie fälschen jetzt, um nicht abschalten zu müssen.“ Wahrscheinlich beides. Fest steht jedenfalls, daß die EG -Kommission 1987 und 1988 sich wohl selbst eine Fußangel gelegt hat, als sie den Italienern ausdrücklich nur die Schließung „aller nicht-profitablen“ Stahlwerke auferlegte: „Ein Loch, das man unserer Regierung niemals lassen darf, wenn man es ernst meint“, sagt D'Alema. Den Schlitzohren in Roms Ministerien und Staats-Holdings fiel denn auch tatsächlich schnell eine Lösung ihres Problems ein: Wenn die zur Schließung stehenden Werke wieder eine positive Bilanz aufweisen, fällt der Schließungsgrund weg, basta! Es geht wieder von vorne los.
Daß die Bilanz wieder so rosig wird, haben vier verschiedene Behörden bzw. Managergruppen in hervorragendem Zusammenspiel (und herrlichen Show-Kämpfen) bewerkstelligt: Neben dem Industrieministerium die Leitung des größten Staatskonzerns IRI, zu dem die Stahlwerke allesamt gehören, weiter die aus der IRI-Unterabteilung Finsider (zuständig für alles Eisen) hervorgegangene Holding ILVA - und die angeblich eigens zur Abwicklung der Schließung eingesetzten Liquidatoren. Während das Ministerium glänzend seine tatterige Rolle als unentschiedener und schlecht informierter Ansprechpartner der EG-Oberen spielt und durch ständige Rückfragen oder - siehe diesmal - Nicht-Präsenz Konfusion streut, verzögern die Liquidatoren gekonnt die bürokratische Abwicklung, palavern die Chefs der Finsider -Nachfolgefirma endlos über angebliche bürokratische Hindernisse.
Das alles hat der IRI-Spitze unter ihrem listigen Präsidenten Romano Prodi hinreichend Zeit verschafft, um den Stahlsektor so lange umzubauen und neu zu verflechten, daß faktisch alle Firmen irgendwie wieder Plus machen. Zum Teil mit halsbrecherischen Aktionen wie etwa Dreiecksgeschäften mit Firmenteilen oder auch Manöver innerhalb des Konzerns selbst. Glanzstück der Stahl-Sanierung: Die Finsider -Nachfolgegesellschaft ILVA übernimmt vom defizitären Bagnoli nur die Hochöfen und die Armaturen, während die IRI selbst das Terrain behält bzw. Teile davon erwirbt. Konsequenz: Da die Stahlküche nun keine Grundsteuer und auch keine Pacht mehr bezahlt, produziert das Werk plötzlich so preisgünstig wie sonst kaum ein anderes. Die Liquidatoren haben daher auch schon gemunkelt, daß es „eigentlich ein Unding sei, eine Fabrik zu schließen, die doch alle Anforderungen für eine gute Kosten-Nutzen-Relation hat„; Fusionspläne mit französischen Firmen werden kolportiert. Von einer Transformation des Terrains von Bagnoli in einem Erholungspark, wie das die Grünen fordern, oder zumindest in eine Zone umweltneutraler Kleinfirmen wollen die IRI-Manager jedenfalls vor dem Jahr 2000 nichts wissen.
Natürlich wissen Insider, daß viel von dieser Transaktion nur Kosmetik ist, auch wenn Minister, Manager und sogar Gewerkschafter wie Antonio Di Roberto das „Wunder“ immer wieder damit begründen wollen, daß es ja „in ganz Europa einen riesigen Stahl-Boom gegeben hat“. Das stimmt zwar, doch selbst in den Jubel-Artikeln wie dem von 'La Repubblica‘ kommen Zweifel auf, ob „die Zunahme der Aufträge die positiven Bilanzen schon vollständig erklärt“.
So sehen mit den Lokalitäten vertraute Politiker wie etwa der Staatssekretär im Ministeirum für die Entwicklung Unteritaliens, Giuseppe Galasso, das ganze Manöver als „Tanz auf dem Vulkan“ an: „Wenn wir jetzt bei den Menschen in Bagnoli den Eindruck erwecken, es könnte doch noch weitergehen mit Schließungsverschiebungen oder gar auf längere Dauer, wird die soziale Auseinandersetzung um so größer, wenn wir über kurz oder lang doch zumachen müssen.“ Und dafür werden zumindest die Deutschen, die Franzosen und die Engländer zu sorgen suchen, die seit einiger Zeit schon lange Hälse machen, um ihr gehortetes Eisen in Italien loszuwerden.
Für diesen Fall sieht auch Antonio Di Roberto schwarz - und wird dabei von bösen Erinnerungen befallen: „Dann wird das wie Ende der siebziger Jahre bei der Schließung von Alfasud“: Auch da hatten die Politiker hin- und hertaktiert, Wahlen zu überstehen und sich mit Versprechen fortzustehlen versucht. „Bis dann doch zugemacht wurde“, sagt Antonio, „und danach hat sich in Neapel erstmals eine effiziente Kolonne der 'Roten Brigaden‘ formiert, und viele sind auch zu Camorra-Mitgliedern geworden, weil die ihnen halt wenigstens Arbeit angeboten hat. Rote Brigaden gibt es keine mehr. Aber die Camorra gibt es noch, stärker denn je. Wenn die Hoffnungen nicht tragen, die die uns jetzt machen, werden wieder viele, mehr als je, in den Händen des kriminellen Untergrunds landen.“
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