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Vom Großen zum toten Meer

■ Ostfriesland mit dem Paddel entdeckt / Durch die Krummhörn-Kanäle nach Greetsiel

Auch Ostfrieslads Sonne kann erbarmungslos sein, und seine Kanäle endlos. Über das Große Meer, den nur bauchtiefen Binnensee dicht bei Emden, fegt noch ein frischer Wind, aber über den zahllosen Wasseradern, die das Land durchziehen, wie blaue Äderchen ein Säufernase, steht die warme Luft. Sauerampfer, Kamille, Binsen neigen sich in's moorgrüne Wasser. Dicke Motorjachten pflügen hindurch mit dicken, gelangweilten Leuten drauf. „Flying Ossi“ heißt eins der Schiffe, aber es fliegt nicht.

Die Dörfer. Grimersum heißt eins, und es fängt ganz langsam an. Den klotzigen, wehrhaften Kirchturm mit der kleinen, spitzen Spitze kann man schon lange vorher sehen, man muß im Boot nur einen langen Hals machen und über die Binsen lugen. Dann kommen graue und rote Dächer, und welche aus Stroh. Büsche und Bäume säumen den Kanal und geben endlich Schatten. Die Gemü

segärten neigen sich sanft dem Wasserlauf zu. Unten endet jeder Garten in einer kleinen Kai-Anlage aus alten Bohlen. Da sind dann bemooste Angelkähne oder Motorboote angebunden.

Eilsum, ein paar Kanalmeilen weiter. Als wir dort hineingleiten, dämmert der Abend schon. Auf dem Pfeiler eines alten Sieltors steht ein Mann im Halbdunkel, reglos, ein leichtes Gewehr in der Hand. „Auf wen lauern Sie?“ „Auf Bisams...Die machen hier die ganzen Kanten kaputt, die Mistviecher.“ „Und wenn Sie einen Bisamschwanz bei der Gemeinde abgeben, gibts fünf Mark?“ „Vier Mark fünfzig“, verbessert er.

So weit das Land, so eng die Dörfer. Eilsum liegt auf einer Warft, einem künstlichen Hügel. Die Gassen schmal, die Ziegelhäuser niedlich. Hanni, die Zimmerwirtin, wohnt in einer Siedlung außerhalb des Dorfs. Aus den Fenster gesehen: Weiden, der

Dorfhaufen, von der Wehrkirche weit überragt, Mondschein. Niederdeutsche Hörspiele, da wußte ich nie, wo die spielen. Ob hier die Leute wohnen, die sich sowas ausdenken, ob aus ihrem Leben und dem ihrer Nachbarn der Stoff dieser Hörträume sind?

Anderen Morgens fahren wir nach Greetsiel, die touristische Perle der Krummhörn. Mit dem Paddelboot kommt man mitten in die City. Man braucht sich dann nur noch in den Sessel eines Kneipengartens fallen zu lassen und sich Fisch zu bestellen. Über den hohen Deich ragen die Masten der Fischkutter. An den Tischen zerbeißen (meist westfälische) Touristenkiefer Scholle und Matjes. Vom Deich aus gesehen, in der dunstigen Fene graut die Nortdsee.

Auf dem Rückweg durch Grimersum geraten wir in die Feier des Boßel-Vereins. Sie boßeln nur im Winter, an diesem Wochenende essen und trinken sie

gut. Tee gibt es und „Teekauk“. Mit uns hat die Gesellschaft an dem langen Holztisch Mitleid, weil wir noch bis zum Großen Meer zurückmüssen. Und sie erzählen ein bißchen aus ihrem Dorf. Ein paar große Bauern gibt es dort, und bei denen mußten sie früher alle arbeiten. Das war schlimm. Manche Bauern waren in Ordnung, andere „das waren Lümmels, wie die mit den Leuten umgesprungen sind...“ Und viel Schwarzarbeit wurde gemacht, und deshalb ist den Opas an der Teetafel heute die Rente schmal. Aber seit den sechziger Jahren, da sind sie alle bei VW in Emden. Anfangs ist es den früheren Knechten schwergefallen. „Den ganzen Tag am Band angebunden“. Aber: „Jetzt geht es uns gut. So gut wie noch nie. Die Jugend wächst im Reichtum auf. Die fahren mit dem Auto überall hin und haben für unsere Dorfgemeinschaft keine Zeit mehr.“ mw

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