Fledderei am Feuilleton

■ Breminale: Rainer Marwedels „Rundgang durchs Feuilleton“ im „Ambiente“

Ein schwarzgekleideter Publikums-Herr mit Strohhut auf dem Kopf und todbeleidigter Miene lümmelt gestreckt-langbeinig an einem Ambiente-Tischchen, in dieser Quietschehitze den Hautgout des Möchtegern-Flaneurs verströmend, des Feuilleton-Connaisseurs. Provinz eben, obwohl er sich bemüht, nach Wien zu riechen, nach Paris oder nach dem Berlin der zwanziger Jahre, als „Feuilleton“ noch eine journalistisch-urbane Kunstform war und nicht nach dem pubertär-verspießerten Strafarbeits-Stil des Tach auch im Weser Kurier gemuffelt hat. Als dann aber dieser wichtigtuerische Strohhut sich bereits nach zehn Minuten Vorleserei des Rainer Marwedel erhebt und unter demonstrativem Kopfschütteln und Türeknallen das Literaturcafe verläßt, schaue ich ihm sehnsüchtig nach: Ich wäre gerne mitgegangen, 'raus aus dieser billigen Absahnerei, mit der Rainer Marwedel, fremdfedrig

geschmückt, hausieren ging.

„Das Feuilleton“, sagt er zu Beginn, „fristete früher ein Schattendasein zwischen Publizistik und Literatur. Heute kommt keine Zeitung mehr ohne Feuilleton aus.“ Wenn so einer die Kunstform „Feuilleton“ - die es heutzutage eben nicht mehr gibt - gleichsetzt mit dem Kulturteil einer Zeitung, dann sollte er seine Loseblattsammlung gleich wieder einpacken und nach Hause geh'n. Er blieb aber und hub an, sich in affig-schülerhafter Vortragsweise an Texten von Peter Altenberg, Anton Kuh, Egon Friedell, Robert Walser, Karl Kraus und Theodor Lessing zu vergreifen. Marwedel mag seine Verdienste haben als Autor einer Theodor-Lessing -Biografie - die man natürlich im Ambiente kaufen konnte -, das aber berechtigt ihn noch nicht dazu, schwadronierend einen „Rundgang durch das Feuilleton“ anzukündigen und dann nur eine

wurschtige Holper-Stolper Zickzackfledderei zu präsentieren, ohne ein müdes Wort zu den Autoren, deren Feuilletons er mit betulicher nein, wie putzig-Primanerbetonung herunterlas. Kein Wort auch über die Motive seiner Auswahl, warum er den und jenen nicht im Vorlese-Ordner hatte.

Es sei „etwas gewagt“, Karl Kraus als Feuilletonisten zu bezeichnen, aber er, Marwedel, tue nun einfach mal so und lese trotzdem Kraus. So wurde auch Karl Kraus „zum Schmunzeln“ präsentiert, und weit und breit ließ sich kein Wollschläger blicken, der Marwedel den Zettel weggenommen hätte. Über Egon Friedell „eine kurze Charakteristik zu geben“, sei „schwer“, sagt Marwedel und hat doch über niemanden ein Wort mitzuteilen. Nur zu Victor Auburtin fällt ihm etwas verflixt Brillantes ein: „Sein Großvater war Pastetenbäcker. Ja, und der Enkel schrieb Feuilletons. Das ist ja beides luftig.“

„Ich lese jetzt 'Die österreichi sche Seele‘ von Egon Friedell. Das ist in Absätzen geschrieben mit Nummern drüber. Die Nummern lese ich mit“, höre ich im Halbschlaf und wähne mich in der Schule beim Diktat. Nichts von dem Esprit, dem Glanz der Feuilletonisten, deren Kunst darin bestand, auf der Glatze Löckchen zu drehen - nichts davon teilt sich in Marwedels „Rundgang“ mit. Er habe in Anbetracht der Hitze sein Programm gekürzt, entschuldigt er sich gleich am Anfang. Aber zusammengestrichen oder nicht - ein Mensch, der in der Gattung Feuilleton herumstochert und Alfred Polgar nicht einmal mit einem Wort erwähnt, sollte sich heimgeigen lassen. Ein Glück allerdings andererseits, daß dieser Schmunzel-Fledderer von Alfred Polgar nichts vorgelesen hat: Ein Graus wär's gewesen, den blitzenden Polgar-Geist aus stumpfem Biedermund zu hören.

Sybille Simon-Zülch