: Nur noch sieben
Steffi Graf siegt und siegt und siegt ■ AUF-SCHLAG
Welch eine Ewigkeit. Unglaubliche 92 Minuten hat es gedauert. Wo Steffi sonst immer so schnell ist. Halb so lang. Immer in kurzen, schnellen Sätzen. Einen. Noch einen. Und fertig. Schnell. Schnell. Ruckzuck. Game Graf. Set Graf. Game, Set and Match Graf. Die nächste bitte.
Gegen Martina Navratilova lief es nicht nach Plan. Das 6:2 im ersten Durchgang dauerte schon lange 32 Minuten. Dann, es ist kurz nach 15 Uhr und die deutsche Nation bereitet sich gerade auf Kaffee und Kuchen vor, liegt sie 1:4 zurück. Peter Graf, Vater, Trainer und Manager in einer Person, hampelt hektisch herum, gibt ein verbotenes Zeichen, zuckt, schüttelt sich. Es reicht zum Ausgleich. Aber der Tiebreak geht glatt daneben. Das Ungeheuerliche ist geschehen. Steffi Graf hat einen Satz verloren.
Vorher war doch alles glatt gegangen. Für sechs Begegnungen gerade gut fünf Stunden auf dem Platz. Nur Arantxa Sanchez hatte einmal sogar 5:4 geführt. Natürlich doch noch verloren. Wie auch Chris Evert. Die noch selten so brutal abgefertigt wurde. 2:6 und 1:6. Im schnellen Halbfinale. Die große arme Dame des Tennis.
Zu Beginn des dritten Satzes hadert Steffi Graf erstmalig mit sich selbst. Mutter Graf tut sich viel Ungemach an, als sie nervös ihren Fuß quetscht. Der Bruder läßt Fingernägel. Der Vater verwinkelt seine Finger immer neu (neue Zeichen, Nervensausen?), läßt sie über den ausgelegten beigen Popeline-Mantel tanzen. Und die neue PR-Managerin der Grand -Slam-Verliererin '89 bleckt verkrampft die Zähne. Und tatsächlich, Steffi findet wieder ihre Eile. Geht so schnell zum Aufschlag, wie man - so einmal die ehrenwerte 'Times‘ „sonntagsmorgens einem anklopfenden Menschen der Heilsarmee die Türe zuschlägt“. Also doch: Break. Und Break. Und As. Und fertig. Um 15:41 schmeckt in Deutschland wieder der Kuchen.
Das Selbstverständliche hatte doch nach Plan geklappt. Selbst die Londoner Buchmacher zahlten für den Graf-Sieg weniger als den Einsatz. Martina Navratilova, die übermotiviert ihren neunten Titel von Wimbledon gewinnen wollte, was Rekord gewesen wäre, war sichtlich enttäuscht. Ihr sonst so lockeres offenes Lächeln war gewollt und unecht. Sie wußte, sie hatte durchaus Chancen gehabt, und meinte, Steffi Graf sei keineswegs überragend gewesen, aber bei ihrer Überlegenheit könne sie es sich sogar leisten, die an sich schwache Rückhand „den ganzen Tag lang zu umlaufen“.
Steffi Graf sprach wie immer viel und sagte wenig. Locker habe sie ins Turnier gehen wollen, doch dann sei dieser Druck gekommen, der Ehrgeiz, das Siegen-Müssen. Doch dann rutschte ihr doch eine zukunftsweisende Bemerkung heraus: Ob sie sich auch vorstellen könne, einmal um den neunten Titel in Wimbledon zu spielen? „Oh, Gott, wieviel hab ich jetzt, zwei, das sind ja noch sieben Jahre...“
Womit wir wissen, was wir zu erwarten haben.
Bernd Müllender
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