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Intimität im Schlachthof

■ Die neue Kesselhalle wurde gestern präsentiert / Spielstätte für Oper, Punk und Theater

Gert Suchodolski weiß, wie man mit der Presse umzugehen hat: „Das kalte Buffet haben wir da oben hingestellt“, sagt er und weist auf eine luftig-solide Metallkonstruktion mit Geländer, eine der neuen Konzertbesucher-Emporen im Industriedesign, die sich nach dem Umbau an alten Schlachthofwänden entlanghangeln. „Damit Ihr auch mal nach oben geht und eine andere Perspektive habt.“

Gert Suchodolski ist Vorstandssprecher des Kulturzentrum Schlachthof e.V., und eben

das hat seit gestern eine neue Kesselhalle, eine, die den 1.500 Besuchern, die man pro Veranstaltung maximal und stehend hineinbekommt, eine „größere Erlebbarkeit“ verschafft. ABM-Architekt Eberhardt Dengler, dessen Zweimal -zwei-Jahres-Vertrag gerade ausgelaufen ist, hat rund um die alten Tribünenstufen Treppen und Wandelgänge durch die Hallenluft gezogen, auf denen man nie mehr als 30 bis 40 Meter vom Bühnengeschehen entfernt wird, wo nicht gedrängelt und gequetscht werden muß, wo man von der Seite gucken kann, von vorne, von oben und ganz dicht vor der Bühne. Dengler spricht vom „Studiocharakter“: intime

Clubatmosphäre und trotzdem Luft und Platz für ebensoviele Leute wie im „Modernes“ oder der kleinen Stadthalle.

„Unverständlich“ findet es Gert Suchodolski dementsprechend, „daß so ein Talent in Planung, Organisation und Ausführung vom Land Bremen nicht ganz engagiert wird.“ Das Land Bremen übernahm - in Gestalt des Senators für Arbeit - neben der Achitekten-ABM vor allem einen Teil der 150.000 DM Materialkosten für den Umbau der Kesselhalle. Die verbleibenden Unkosten wurden von der Stiftung „Wohnliche Stadt“ (Lottomittel) getragen. Bremer Berufsschüler senkten darüberhinaus

die Lohnkosten, weil sie umsonst und lehrplanintegriert schweißten und hämmerten.

Ein Umbau also zwischen ABM und Zusammenarbeit mit Ausbildungsinstitutionen - ein Konzept, das man im Schlachthof auch weiterhin verfolgen möchte. Ansonsten wurden „kilometerweise Kabel verlegt“ (Suchodolski) und eine computergesteuerte Lichtanlage installiert, die gemeinsam mit selbstkonstruierten Strahlern statt des typischen Schlachthof-Neonlichts eine „gezieltere Atmosphäre“ verbreiten soll.

Jimmy Pässler hat dem Ganzen dann das I-Tüpfelchen verpaßt: statt der Außenfassaden bemalte er zur Abwechselung mal den Innenraum. Backsteinrote Schlieren mit blaugrauen Luftlöchern, Mauerwerk und Streifen drüber wie vom farbschwappenden Riesenmalerpinsel. Ein hallengroßes Gefühl für Stimmungen, technische Vorgaben (dunkle Bühne, Ecken aufheben) und Architektur. „Jimmy“, befindet Suchodolski, „klatscht nicht einfach ein Bild an die Wand.“

Die neue Kesselhalle dient bis Juni nächsten Jahres nun erstmal dem umbaugebeutelten Goethetheater als Ausweichspielstätte und Proberaum. Danach möchte man neben den Punk- und Heavy Metal-Abenden auch anderen Veranstaltern „die neuen Qualitäten der Kesselhalle verkaufen“, so Dengler. Und auch wenn man sich lieber nicht als Konkurrenz empfindet, könnte das leicht ein paar der ins „Modernes“ abgewanderten Kulturkonsumenten auf dem Absatz kehrt machen lassen. p

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