Ein alternativer Atommüllskandal

■ Seit letzter Woche ermittelt die Umwelt-Kripo gegen die Unabhängige Strahlenmeßstelle wegen des Verdachts der „umweltgefährdenden Abfallbeseitigung“ / Beim Umzug ließ die Meßstelle ein Strahlenmeßgerät in den alten Räumen zurück

Die Berliner Anti-AKW-Szene hat ihren eigenen, kleinen Atommüllskandal. Seit letzter Woche ermittelt die Umwelt -Kripo gegen die „Unabhängige Strahlenmeßstelle“ wegen des Verdachts der „umweltgefährdenden Abfallbeseitigung“. Einen Strahlenzähler samt radioaktivem „Eichstrahler“ ließ Inhaber Bernd Lehmann nicht etwa ordnungsgemäß entsorgen, als die Meßstelle im Dezember ihre bisherigen Räume in der Wilsnacker Straße verließ, um in die Turmstraße umzuziehen Lehmann ließ das Gerät einfach in der Wilsnacker Straße stehen. Der Nachmieter, der Umweltverein BAUCH, erstattete vergangene Woche Anzeige bei der Polizei.

„Wir haben Lehmann immer wieder aufgefordert, das Gerät abzuholen, wurden aber immer nur vertröstet“, erklärte BAUCH -Mitarbeiter Hans Schleibinger gestern. Durch Zufall entdeckten die Mitarbeiter des Vereins vor einem Monat, daß in dem „Szintillationsspektrometer“ eine kleine radioaktive Quelle eingebaut ist. Wäre sie undicht gewesen, hätte radioaktives Radon ausströmen können. Die Umweltchemiker von BAUCH wären einem erhöhten Krebsrisiko ausgesetzt gewesen.

Kerntechniker Lehmann behauptet, von der Strahlenquelle nichts gewußt zu haben. Peter Braun von BAUCH findet das für die Meßstelle genauso „peinlich“ wie den ganzen Vorgang, der sich beim näheren Hinsehen reichlich verwickelt darstellt. Juristisch ist Lehmann nämlich für das Gerät gar nicht mehr verantwortlich. Er war zwar sowohl vor wie nach dem Umzug der Verantwortliche für die Meßstelle. Nur hatte die während des Umzugs ihre juristische Identität gewechselt.

War sie vorher eine Einrichtung des Vereins „Aktiv gegen Strahlung“, ist sie seit Jahresbeginn eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die von dem Verein unabhängig ist, von ihm aber Geräte und Büromöbel gepachtet hat. Der Szintillationsspektrometer steht jedoch nicht im Pachtvertrag. In den neuen Räumen in der Turmstraße, so hatte Lehmann festgestellt, paßte das Gerät nicht durch Tür und Fenster. „Ich bin davon ausgegangen, daß das Gerät dem Verein gehört“, versicherte Lehmann gestern. Ob allerdings der Verein „Aktiv gegen Strahlung“ von seinem strahlenden Besitz überhaupt erfahren hat, war nicht zu klären.

Lehmann will eine „moralische Verantwortung“ für das radioaktive Gerät dennoch nicht abstreiten. Aber auch die entdeckte er offenbar erst, als BAUCH ihn Anfang Juni erstmals schriftlich aufforderte, das strahlende Gerät endlich abzuholen. Lehmann bat den Pharma-Konzern Schering um Hilfe. Schering hatte den Zähler im Februar 1987 der Meßstelle geschenkt. Schering mobilisierte daraufhin das Hahn-Meitner-Institut (HMI). Als zwei HMI-Mitarbeiter am Montag die Strahlenquelle ausbauen wollten, trafen sie in den Räumen von BAUCH auf von dem Verein herbeigerufene Mitarbeiter des Landesamtes für Arbeitsschutz und technische Sicherheit (Lafa) und die Umwelt-Kripo. Die Polizeibeamten beschlagnahmten die Strahlenquelle.

Vorwürfe erhebt BAUCH, in deren Reihen einer der beiden Mitbegründer der Meßstelle arbeitet, nun auch gegen Schering. Indem die Firma das Gerät der Meßstelle schenkte, habe sie sich auf bequemem Weg des radioaktiven Mülls entlegen wollen, vermutete der Verein gestern. Daß eine mit strahlendem Radium 226 gefüllte „Meßperle“ Teil des Strahlenzählers sei, habe die Firma seinerzeit nämlich verschwiegen. Versäumt hatte die Firma auch, das Gerät abzumelden, wie es atomrechtlich vorgeschrieben ist. Das dafür zuständige Landesamt für Arbeitsschutz und technische Sicherheit erfuhr erst jetzt von dem Besitzerwechsel. BAUCH -Mitarbeiter Braun fragte sich deshalb gestern, ob diese Art der Handhabung und Entsorgung von radioaktivem Material bei Schering einen Einzelfall darstellt oder an der Tagesordnung ist.

Aber nicht nur Schering, sondern auch die Meßstelle hatte es seinerzeit unterlassen, dem Lafa Meldung zu machen. Das „Versäumnis“, das Gerät nicht abgemeldet zu haben, räumte Schering-Sprecher Ludwig Hahn gestern ein. Obwohl Schering mehrere gleichartige Strahlenzähler besitzt, will die Firma nichts von der Meldepflicht gewußt haben. Hahn: „Wir dachten, daß sich die Meßstelle mit den Bestimmungen auskennt.“

hmt