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Die Swapo-Geschichte aus Dissidentensicht

Wenn die namibische Freiheitsbewegung Swapo (South West Africa People's Organization) in einigen Monaten erwartungsgemäß - die Regierungsverantwortung im ehemaligen „Deutsch-Südwestafrika“ übernimmt, dann werden 22 Jahre Kampf, Irrungen und Wirrungen von Erfolg gekrönt - und unweigerlich im Lichte des Erfolgs umgeschrieben. Andreas Shipanga, lange Jahre ein führendes Mitglied der Swapo, hat ein Buch veröffentlicht*, das verhindern könnte, den Mythos des Befreiungskampfes mit der Realität der Bewegung zu verwechseln. Kann der gute Zweck im (erfolgreichen) nachhinein unsaubere Mittel heiligen? Andreas Shipanga zufolge ist das eine gefährliche Täuschung, die der Vergangenheit unrecht tut und zu einer enttäuschenden Zukunft verdammt.

1958 werden die Schwarzen der namibischen Hauptstadt Windhuk „umgesiedelt“. Solches Unrecht politisiert den Widerstand, den von nun an Hermann Toivo ya Toivo, Solomon Mifima, Jacob Kuhangua und, neben vielen anderen, Andreas Shipanga organisieren.

Nach dem Sharpeville-Massaker in Südafrika im März 1960 vereint am 19.April die Swapo die stammesgebundenen Vorläufer. Sam Nujoma, der sich im Kampf gegen die Umsiedlung in Windhuk einen Namen gemacht hat, wird zum Präsidenten gewählt.

Andreas Shipanga beschreibt, wie die Jahre vergehen. Im erfolglosen Guerillakampf vom benachbarten Sambia aus, in der Odyssee der Führer, die von Hotel zu Hotel und von Hauptstadt zu Hauptstadt reisen, um die „Sache ihres Volkes“ unter - möglichst einflußreiche - Leute zu bringen.

Die Wende kommt 1974/75. Die Unabhängigkeit Angolas ermöglicht die Eröffnung einer „zweiten Front“ mit wesentlich mehr Aussichten auf Erfolg, weil der Norden Namibias dichter besiedelt ist und zudem von „Owambos“ bewohnt wird, aus deren Reihen die Swapo hauptsächlich rekrutiert. Aber Mitte der 70er Jahre verspricht das Südafrika John Vosters seinen Nachbarn auch zum ersten Mal „Entspannung“. Sambias Präsident Kenneth Kaunda konferiert mit Voster im legendären Zug auf der Brücke über den Victoriafällen. Worum es geht? Die einfliegenden kubanischen Soldaten, die in Angola das „marxistische“ Regime Agostino Netos stützen, sollen vom Kontinent gefegt werden. Von den Amerikanern vorab konsultiert, gibt Kaunda - ebenso wie Zaires Mobutu - seinen Segen zur CIA-Aktion und dem Einmarsch südafrikanischer Truppen in Angola. Im übrigen eilt man der „prowestlichen“ Unita-Guerilla Jonas Savimbis zu Hilfe. Und die Swapo Sam Nujomas dient dazu als Waffenträger...

Die besten und modernsten Waffen werden in den Süden Angolas gebracht, um die Unita-Rebellen Savimbis auszurüsten. Sie schlagen sich gegen die „kommunistische Invasion des südlichen Afrikas“... auf seiten der südafrikanischen Armee, die bis nahe an die angolanische Hauptstadt Luanda vorstößt. „Zu diesem Zeitpunkt war die Swapo-Führung vollends korrupt, sie hat unsere Sache verraten und an der Seite unseres Feindes gekämpft“, schreibt Shipanga. Sein Versuch, einen lange schon überfälligen Parteikongreß einzuberufen, um die „innere Demokratie“ zu restaurieren, hat ihm - und Hunderten anderer Swapo-Kämpfer - schließlich jahrelange Haft eingebracht.

Der Rest ist ebenso quälend lange gelebt wie schnell zusammengefaßt. Um von der revoltierenden Basis nicht abgesetzt zu werden, bittet die Swapo-Führung „befreundete Regierungen“ um Hilfe. Shipanga wird am 20.April 1976 in Lusaka verhaftet und mit anderen in ein von sambischen Soldaten bewachtes Militärlager gebracht. Aber eine internationale Kampagne kommt in Gang, und eine Habeas -corpus-Klage bringt die sambische Regierung in Verlegenheit. Shipanga wird schließlich nach Tansania verfrachtet, dessen Präsident Nyerere dank sozialistischer Aura über allen Verdacht möglicher Menschenrechtsverletzungen erhaben ist. Andreas Shipanga bleibt dort zwei Jahre im Kerker, in Zellen, in denen zuvor Leprakranke einsaßen. Als er 1978 endlich nach Europa abgeschoben wird und versprechen soll, „nie wieder nach Afrika zurückzukehren“, verdankt er seine Freilassung vor allem dem unermüdlichen Bemühen seiner Frau Esme, der Witwe des südafrikanischen Musikers Todd Matshikiza, und Freunden wie Sean MacBride, dem Kommissar der Vereinten Nationen für Namibia und späteren Gründervater von amnesty international. 2.000 andere gefangene Swapo-Dissidenten sitzen jahrelang ein, ohne daß sich irgend jemand für sie mobilisiert. Wann und ob sie aus der Haft entlassen wurden, weiß nicht einmal Shipanga zu sagen...

Denn die Geschichte ist weitergegangen und die „Entspannung“ mit Südafrika zu einem schnellen und bitteren Ende gekommen. Im Dezember 1975, im Lichte des Vietnamdebakels, untersagt der amerikanische Kongreß jegliche „versteckte Hilfe“ (covert aid) an die Unita -Rebellen in Angola, und die von den Amerikanern „fallengelassenen“ südafrikanischen Truppen machen vor den Toren Luandas kehrt. Kenneth Kaunda muß seiner „unheiligen Allianz“ mit Pretoria ein Ende setzen, und die Swapo findet ihr altes Feindbild wieder: Statt auf einen Deal mit Südafrika zu setzen, um die Unabhängigkeit Namibias im „antikommunistischen“ Kampf gegen die „Marxisten“ und „kubanischen Internationalisten“ in Angola zu erringen, wird nunmehr wieder gegen die „Burenbesatzung des Heimatlands“ mobilisiert.

Tausende junger Namibier gehen in der zweiten Hälfte der 70er Jahre ins Exil, um als Befreiungskämpfer die Reihen der Swapo aufzufüllen. Mit ihnen beginnt ein neues Kapitel, aber - so Shipanga - der Mangel innerer Demokratie bleibt der Geburtsfehler der namibischen Unabhängigkeitsbewegung. Bislang hat ihm niemand glaubhaft widersprochen oder gegen sein Buch ein Gerichtsverfahren wegen Verleumdung angestrengt.

Knut Pedersen

* In Search of Freedom. The Andreas Shipanga Story as told to Sue Armstrong. Ashanti-Publishing 1989

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