: Pericos Pyrenäen-Parforce
■ Pedro Delgado verringert beharrlich seinen Rückstand bei der Tour de France / Gelbes Trikot für Jutta Niehaus
Berlin (taz) - Es ist doch ein großes Glück, daß Pedro Delgado ein solcher Depp ist. Wäre ihm nicht sein Mißgeschick beim Prolog passiert, als er knapp drei Minuten zu spät zum Zeitfahren kam und vor lauter Schreck am nächsten Tag noch einmal fast fünf Minuten verlor, die Tour de France wäre in diesem Jahr eine todlangweilige Angelegnheit geworden.
Delgados beeindruckende Parforce-Jagd über die Pyrenäen, unter den Augen seiner spanischen Landsleute, die in Scharen über die Grenze gekommen waren, um ihrem „Perico“ zuzujubeln, zeigte - so sie den Dopingproben standhält -, in welch glänzender Form sich der Vorjahressieger befindet. Während sich die führenden LeMond und Fignon gegenseitig die Schuld an Delgados unbehelligter Flucht nach vorn in die Schuhe schoben, fuhr der ihnen seelenruhig immer weiter davon und demonstrierte eine Überlegenheit, die ihn ohne seinen Lapsus wahrscheinlich schon uneinholbar in Führung gebracht hätte.
Auf der ersten Pyrenäenetappe, dem „Hors d'Ouevre“ ('L'Equipe‘), machte er eine halbe Minute gut, und auch auf dem mörderischen zweiten Abschnitt über den legendären Tourmalet fuhr er den Mitkonkurrenten plötzlich locker davon und schloß zu den vorher ausgerissenen Fahrern Robert Millar und Charly Mottet auf. Die drei Flüchtlinge arbeiteten glänzend zusammen, vergrößerten ständig ihren Vorsprung und Delgado fand sogar Zeit, den Schotten Millar, mit dem ihn nach Differenzen bei der Spanienrundfahrt 1985 eigentlich eine tiefempfundene Feindschaft verbindet, mit Getränken zu versorgen. Zu guter Letzt überließ er ihm sogar noch großzügig den Etappensieg. Seinen Rückstand auf Laurent Fignon, der dem Amerikaner Greg LeMond das Gelbe Trikot um sieben Sekunden abnahm, hatte Delgado von 6:24 auf 2:53 Minuten verringert und sich auf den vierten Platz hinter Mottet verbessert.
Damit war er ziemlich genau in seinem Zeitplan. Drei Minuten wollte er am zweiten Pyrenäentag aufholen, zwei Minuten beim Bergzeitfahren am Sonntag und eine Minute am nächsten Mittwoch in den Alpen beim Aufstieg nach L'Alpe d'Huez. Eine Rechnung, die der fünfmalige Tour-Sieger Bernard Hinault keineswegs abwegig fand: „Delgado ist in den Bergen stärker und auch im Zeitfahren, wenn er pünktlich am Start ist. Laurent muß versuchen, Pedro auf den Flachetappen Zeit abzunehmen.“ Daß allerdings dürfte Fignon, obwohl er nach eigenen Angaben „hundertmal stärker als beim Giro d'Italia“ ist, den er immerhin gewann, sehr schwer fallen. Möglicherweise entscheidet über den Toursieg 1989 sogar erst das abschließende Zeitfahren nach Paris .
Hinter den an der Spitze um die Sekunden rangelnden Favoriten gab es im Feld mächtige Explosionen, wie es im Radsport so nett heißt, wenn jemand total einbricht. Alte Kämpen wie Phil Anderson, Steve Bauer, Erik Breukink sowie die kolumbianischen Bergspezialisten Lucho Herrera und Fabio Parra fielen weit zurück, andere große Namen schieden sogar ganz aus. Der Ire Stephen Roche, Sieger von 1987, schlug sich sein ohnehin lädiertes Knie am Lenker an und warf ebenso das Handtuch wie der Italiener Bontempi. Jean-Paul van Poppel, der im letzten Jahr vier Etappen gewonnen hatte, und Eric Vanderaerden wurden wegen Zeitüberschreitung disqualifiziert. Rolf Gölz hingegen kletterte hervorragend und schob sich auf den 35. Rang vor.
Am Mittwoch ging es dann auf der Etappe von Luchon nach Blagnac etwas geruhsamer zu. Nahezu geschlossen sauste das Feld dem Ziel entgegen, einen kleinen Vorsprung hatte nur die Nummer 13, der Belgier Rudy Dhaenens. Der vermasselte sich seinen Etappensieg 500 Meter vor dem Ziel durch einen tölpelhaften Sturz, warf danach sein schwer lädiertes Rad mehrfach wutentbrannt zu Boden und rollte schließlich, abwechselnd fluchend und heulend, auf einem Ersatzgefährt weit hinter dem Ersatzsieger Hermans über den Zielstrich.
Am Dienstag begann auch die Tour der Frauen, die ebenso wie die der Männer am 23.Juli in Paris endet. Den Prolog gewann Jutta Niehaus aus Bocholt, die damit als erste Deutsche überhaupt das Gelbe Trikot überstreifen durfte, das sie auf der ersten Etappe am Mittwoch erfolgreich verteidigen konnte.
Matti
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