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München: Jugendliche Polizeispitzel?

Polizei setzt minderjährige Drogenabhängige als Spitzel ein / Sozialreferat verpaßt Streetworkern einen Maulkorb / Auftrittsverbot bei Pressekonferenz der Grünen / Stoibers Gegenoffensive  ■  Aus München Luitgard Koch

München (taz) - „Werden minderjährige Drogenabhängige als Polizeispitzel eingesetzt?“ - Diese Frage beschäftigte die Rathausfraktion der Münchner Grünen seit geraumer Zeit. Gestern nun versuchten die Grünen, den Skandal auf einer Pressekonferenz öffentlich zu machen. Bereits Anfang Juni nämlich hatte Sozialreferent Hans Stützle (CSU) auf Anfrage der grünen Stadträtin Sabine Csampai bestätigt, daß es in letzter Zeit „einige Fälle“ gab, „in denen jugendliche Drogenkonsumenten unter Zusicherung von Straffreiheit von der Polizei zu Spitzeldiensten angeworben worden“ seien. Lediglich drei Fälle aus dem Jahr 1988 seien bekannt, jedoch keiner aus diesem Jahr, räumte Stützle ein. Den Leiter der Drogenberatungsstelle, der Stützle bereits im vergangenen Herbst darauf hinwies, hatte Stützle wohlweislich nicht gefragt.

Erste Hinweise auf diese Polizeimethoden hatten die Grünen jedoch bereits von Mitarbeitern der Drogenberatungsstelle des Stadtjugendamtes als auch Streetworkern erhalten. Deshalb sollten auf der Pressekonferenz auch die betroffenen Streetworker die ihnen bekanntgewordenen polizeilichen Anwerbungsversuche darstellen. Denn gerade ihre Arbeit wird durch solche Polizeipraktiken gefährdet: Bei den Jugendlichen entsteht der Verdacht, die Sozialarbeiter würden mit der Polizei zusammenarbeiten.

Doch das Sozialreferat geriet angesichts des „heißen Eisens“ in Panik. Einen Tag vor der Pressekonferenz pfiff Stützle die Sozialarbeiter zurück und verpaßte ihnen einen Maulkorb. Aus Angst vor Sanktionen wagte es keiner von ihnen, bei der Pressekonferenz gestern offen aufzutreten. So konnten die Grünen nur die Berichte der Sozialarbeiter weitergeben. Etwa über den Fall des 16jährigen Gerd (Name geändert). Er war durch Autoknacken, Schwarzfahren und Haschisch bei der Polizei bekannt. Trotz Bewährungsstrafe bewegte er sich weiter offen im Drogenmilieu. Grund: Die Polizei hatte ihm zugesichert, wenn er Informationen liefere, passiere ihm nichts. Für Gerd hatte das fatale Folgen: Aus Angst vor seinen Freunden mußte er seine Eltern verlassen und untertauchen. Auch zum Scheinkauf versucht die Polizei jugendliche Drogenabhängige zu überreden, wußte der Münchner Rechtsanwalt, Kai Wagner. Ein betroffener Streetworker, der ebenfalls seinen Namen nicht nennen wollte, bestätigte gegenüber der taz die Anwerbungsversuche der Polizei. „Damit werden nur die Ameisendealer gejagt“, stellte er fest. Das bayerische Innenministerium will von diesen rechtswidrigen Vorgängen freilich nichts wissen. Statt dessen forderte Innenminister Edmund Stoiber (CSU) die Grünen auf, „Roß und Reiter“ zu nennen. Angesichts des „Maulkorberlasses“ ein kluger Schachzug, um den Skandal unter den Teppich zu kehren.

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