Das Mittelalter lebt - in Würzburg

Freispruch vom Vorwurf der Gotteslästerung für Freiburger Rechtsanwalt / Spezialist für Strafverfahren wegen Gotteslästerung sollte Denkzettel erhalten / Caritas-Vorsitzender beging mehrfachen Meineid / Richter für befangen erklärt / Entlastendes Video ignoriert  ■  Aus Nürnberg Bernd Siegler

Wenn es um die Verfolgung von vermeintlicher Gotteslästerung geht, nimmt es der Würzburger Caritas-Vorsitzende Wolfgang Pfrang mit der Wahrheit nicht mehr so genau. „So wahr mir Gott helfe“, schwörte Pfrang, in seinem weltlichen Beruf auch noch Rechtsanwalt, mehrere klassische Meineide. Mit Pfrangs „selbstloser“ Hilfe wollte das Erzbischöfliche Ordinariat den Freiburger Rechtsanwalt Gottfried Niemietz gerne vom Amtsgericht verurteilt sehen. Doch der in der BRD wohl profilierteste Verteidiger von Kirchenkritikern erhielt jetzt einen lupenreinen Freispruch.

Angefangen hat alles am 11.Dezember 1987. Gottfried Niemietz, Spezialist für Strafverfahren nach Paragraph 166 (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungen), hält in Würzburg im Rahmen einer „antiklerikalen Veranstaltungsreihe“ einen Vortrag. Titel: Das Mittelalter lebt - Moderne Inquisition in der BRD. Darin handelt Niemietz die Geschichte der Verfolgung von Kirchengegnern von Kaiser Konstantin bis heute ab. Schwerpunkt ist dabei der seit 1871 unverändert gültige Paragraph 166, der seit 1984 eine Renaissance erlebt. Ausgangspunkt war dabei vor fünf Jahren die Verurteilung von Birgit Römermann in Göttingen wegen Gotteslästerung. Ihre Tatwaffe war damals unter anderem der Aufkleber: „Lieber eine befleckte Verhütung als eine unbefleckte Empfängnis“. Seitdem hat Niemietz allein 40 Verfahren abgewickelt zumeist in Städten mit Bischofssitz.

In Würzburg mischen sich an diesem Dezemberabend auch der örtliche Caritas-Vorsitzende Wolfgang Pfrang und Theologiestudent Guido Heinen unter das Publikum. Ihre ganze Aufmerksamkeit gilt dem Referenten Niemietz, haben sie doch schon bei der vorausgegangenen Veranstaltung dieser Vortragsreihe eine Anzeige nach Paragraph 166 angekündigt. Theologiestudent Heinen gibt sich denn auch große Mühe und legt dem Erzbischöflichen Ordinariat einen viereinhalbseitigen detaillierten Bericht über die Veranstaltung vor.

Endlich glauben die Kirchenmänner einen Anhaltspunkt zu besitzen, um gegen den unbequemen Rechtsanwalt, der es in seinen bisherigen Verfahren immer wieder verstanden hat, im In- und Ausland eine große Öffentlichkeit herzustellen, strafrechtlich vorzugehen - zumal sich mit Pfrang einer zweiter hochrangiger Zeuge angeboten hat. Oberstaatsanwalt Schauff reagiert, wie es der Bischof von ihm erwartet. Im Mai 1988 liegt die Anklageschrift vor, Amtsrichter Strubel befindet sie für eine Hauptverhandlung für ausreichend. Niemietz soll demnach die Kirche als „größte Verbrecherorganisation der Geschichte“ und Geistliche als „Klerikerschweine“ beschimpft haben. Daß von der Veranstaltung eine komplette Tonband- und Videoaufzeichnung vorliegt, das die Niemietz unterstellten Äußerungen nicht enthält, ist zwar Ankläger und Richter bekannt, scheint sie jedoch nicht zu interessieren.

An den beiden Verhandlungstagen am 9. und 22. November 1988 bleibt Richter Strubel seiner Linie treu, das Video als entlastendes Material völlig zu ignorieren. Staatsanwalt Wohlfahrt steht ihm dabei tatkräftig bei: „Ein Video kann niemals eine Zeugenaussage entkräften.“ Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist es Niemietz klar, daß hier in Würzburg an ihm ein Exempel statuiert werden soll. „Ich sollte unter allen Umständen verurteilt werden, um damit alle Kirchenkritiker einzuschüchtern“, erklärt er nach dem Urteil.

Im Laufe des weiteren Verfahrens wird aber auch Richer Strubel klar, daß aus strafprozessualen Gründen kein Weg an dem Video als Beweismittel vorbeigeht. Seine Fürsorge gilt von da an nur noch den Zeugen der Anklage. Er informiert Pfrang telefonisch von der Existenz des Videos und bietet dem Caritas-Vorsitzende an, die Aussagen vom ersten Sitzungstag einfach als „protokollarisch falsch“ zu bezeichnen. Doch im Gegensatz zu Theologiestudent Heinen, der bei der weiteren Verhandlung erstaunliche Erinnerungslücken aufweist, bleibt Pfrang uneinsichtig. Mit der Bestätigung der „Klerikerschweine“ fügt er seinen Meineiden vom ersten Prozeßtag noch einen dritten hinzu.

Der Versuch von Richter Strubel, das Verfahren, das bereits Eingang in den Jahresbericht vom amnesty international gefunden hat, klammheimlich einzustellen, schlägt fehl. Niemietz gibt sich nicht damit zufrieden, daß der Inhalt des Videos vom Richter als wahr unterstellt wird. Er besteht darauf, daß es in Augenschein genommen wird.

Amtsrichter Strubel bleibt die Blamage der Videovorführung letztlich erspart. Im Februar 1989 wird er für befangen erklärt. Sein Nachfolger Straub kommt diese Woche nach Ansicht des 80minütigen Videos endlich zu der Auffassung, die Äußerungen seien „in dieser Form nicht von Herrn Niemietz gebraucht“ worden.

Damit ist auch der fünfte Versuch gescheitert, den Freiburger Rechtsanwalt Niemietz für sein antiklerikales Engagement zu bestrafen. Der Anwalt wartet jetzt gespannt darauf, welchen Gang die Meineidsverfahren gegen den Caritas -Vorsitzenden in der Bischofsstadt nehmen. Er stellte zusätzlich Strafantrag gegen Pfrang wegen falscher Verdächtigung und Beleidigung. Der Kirchenmann Pfrang hatte gegenüber Niemietz erklärt: „Dem guckt ja schon die Syphilis aus den Augen.“