Der mißverstandene Mitterrand muß kämpfen

■ Heute abend beginnt in Paris der Weltwirtschaftsgipfel / Umwelt und Entschuldung Hauptthemen

Auf Frankreichs Präsidenten Fran?ois Mitterrand kommt in seinem Heimspiel viel Arbeit zu: Nach dem breiten Protest gegen die Zusammenlegung von Revolutionsfeierlichkeiten und dem Treffen der Mächtigsten der Welt hat er vor, sein ramponiertes Image als Freund der Dritten Welt zu polieren. Helmut Kohl will in den letzten „zwei Minuten vor Zwölf“ den Tropenwald retten. Er träumt von einer marktwirtschaftlichen Lösung. Umwelt und Entschuldung der Drittweltstaaten stehen ganz oben auf der Tagesordnung, die diesmal auch von den Organisatoren des Gegengipfels ein wenig ernst genommen wird.

„Seit acht Jahren schlage ich mich mit dem Schuldenproblem herum. Das wird das erste Thema dieses Gipfels sein. Aus meiner Sicht sind die Probleme der Dritten Welt für die Menschheit schwerwiegender als die Atombombe.“ Auf derartige Glaubensbekenntnisse hatte Fran?ois Mitterrand in den letzten Jahren weitgehend verzichtet. Weil sein großer Gipfel ins Schwanken gerät, hieb er nun mit der Hand auf den Tisch. Wie nie zuvor fühlt sich Mitterrand von allen mißverstanden.

200.000 Franzosen demonstrierten am Samstag gegen Mitterrand und den „Gipfel der Reichen“. Tags darauf verstand man im Elysee-Palast die Welt nicht mehr. „Damit wir einmal klarsehen“, schimpfte Mitterrands Chefberater, der sonst so zurückhaltende Jacques Attali, „seit 1981 ist Frankreich unter den Sieben der Anwalt der Dritten Welt. Bei jeder Gelegenheit versucht gerade Frankreich einen konstruktiven Nord-Süd-Dialog zu organisieren, keine Medienshow.“ Es wundert nicht, daß sich Attali betroffen zeigte. Ihm war vor einem Jahr die geniale Idee gekommen, Revolutionsjubiläum und Weltwirtschaftsgipfel in einem Rutsch abzufeiern. Damit Paris in diesen Tagen eine Begegnungsstätte zwischen den Staatschefs der armen und reichen Länder werden könne. Damit „alle zusammen“ - zwei Wörter die Attali immer wieder betont - miteinander verhandeln und feiern. Keinen Nord-Süd-Gipfel wolle der Staatspräsident am 14. Juli, aber einen ständigen Dialog um Nord-Süd. „Wie können wir den Dialog ohne der Norden führen?“, antwortet Attali den Kritikern des Weltwirtschaftsgipfel.

Als der französische Staatspräsident, allein und ohne einen westlichen Kollegen, am Mittwoch abend 17 Staatschefs aus Ländern der Dritten Welt zum gemeinsamen Abendessen empfing, knüpfte dies an die frühsten Traditionen Mitterrandscher Außenpolitik an. Aufsehen erregte die Rede des Sozialisten Mitterrand auf dem Nord-Süd-Gipfel in Cancun 1981, dem ersten und letzten seiner Art. „Damals stellten Mitterrand und die Linksregierung in Paris eine enorme Hoffnung für die fortschrittlichen Kräfte in der Dritten Welt dar, angefangen bei Nicaragua“, erinnert sich Dritte-Welt-Agitator Jean -Marie Fardeau, der zu den Organisatoren des Pariser Gegengipfels (TOES) zählt. Eine Hoffnung, die sich leicht aus den damaligen Worten Mitterrands ablesen läßt: „Nach der Epoche der Kolonialherrschaften, nach den aufblühenden Hoffnungen der sechziger Jahre, während und nach des Schocks der Weltwirtschaftskrise stehen wir heute an der Schwelle eines neuen Jahrtausends. Sechs Milliarden Menschen werden im Jahre 2000 die Erde bevölkern: Werden wir vier Milliarden unter ihnen der ständigen Armut aussetzen?“, fragt Mitterrand 1981 vor der Nord-Süd-Konferenz der UNO in Paris. Niemals zuvor hatte die Dritte Welt von einem westlichen Staatschef ähnlich kritische Töne gehört. Mitterrand sprach gegen „Ausbeutung“, gegen das „jeder-für-sich, und-der-Markt -für-alle“, gegen das „internationale Spekulantentum und den Egoismus der Industriestaaten“.

„Bei den schönen Reden blieb es dann“, analysiert heute Jean-Marie Fardeau. „Wenn es wirklich darum ging, Entscheidungen zu treffen, schlug sich Mitterrand noch jedesmal auf die Seite der sieben Großen.“ Unbestritten ist dennoch, daß Mitterrand das Thema Schuldenabbau beim letzten Weltwirtschaftsgipfel in Toronto zur Sprache brachte. Die Entscheidung von Toronto, in der sich die Teilnehmerländer verpflichten, 30 Prozent der staatlichen Auslandsschulden an die 35 ärmsten Länder zu annullieren, geht weitgehend auf Mitterrands jahrelanges Wirken zurück. Im Februar ging Mitterrand noch einen Schritt weiter und erteilte weitere fünf Milliarden Mark Schuldenerlaß an afrikanische Länder, diesmal nicht in Absprache mit anderen westlichen Regierungen.

„Diese Maßnahmen bleiben begrenzt“, urteilt dennoch Jean -Marie Fardeau. „Frankreich hat nicht das internationale Gewicht, um den Partnerstaaten radikalere Schritte vorzuschreiben. Zwar steht Mitterrand der Dritten Welt unter den sieben Großen am nächsten. Doch ist das nur eine Solidaritätsfassade, die mit Realpolitik wenig zu tun hat.“

Vom Militäreinsatz im Tschad über ausbleibende Entwicklungshilfe-Versprechen für Nicaragua bis zu den Waffenlieferungen an afrikanische Staaten hat die Mitterrandsche Dritte-Welt-Politik in den vergangenen Jahren zahlreiche Kritik aus dem linken Lager einstecken müssen. Daß zu den derzeitigen Staatsgästen des Präsidenten auch Diktator Mobutu aus Zaire zählt, neben den wenig lautereren aus Gabun (Bongo), Togo (Eyadema) und Madagaskar (Ratsiraka) wird der selben Kritik keinen Abbruch tun. In den nächsten Tagen wird Mitterrand volle Arbeit leisten müssen, will er seinen Anwaltsjob für die Armen - zumindest vor der französischen Öffentlichkeit - nicht verlieren. Schon ließ Magaret Thatcher verstehen, daß sie am weiteren Schuldenabbau in der Dritten Welt kaum Interesse zeige. Diesmal steht Mitterrand unter Erfolgsdruck - es geht um sein Prestige.

Georg Blume