: RAI - HAI
■ Bellemou Messaoud bei Orient De Luxe vorm Tempodrom
Im Mittelalter waren es die Minnesänger, die ihre frouwe, die Angebetete, in ihren Liedern überhöhten und idealisierten, um sie zu betören. Heute singen die Rai -Ritter aus dem fernen Algerien von ihrem Liebeslaster. Weder damals noch heute am Hofe Tempodrom wurden sie je erhört.
Und das ist auch gut so, so können sie uns weiter in herrlich melodischem Singsang ihr Liebesleid klagen, Haßtiraden auf die prüden Sitten in Arabien zusammenreimen und die Jugend zu Aufstand und Geschlechtsverkehr animieren. Würden sie ihre Ziele einmal wirklich erreichen, auch hier ähneln sie ihren minniglichen Vorfahren, wäre es aus mit der holden Sangeskunst.
Doch noch ist es längst nicht so weit, der Islam droht, die wenigen erkämpften Rechteim Geschlechterkrieg mit seiner Verschleierungstaktik sofort wieder zu ersticken. Den abendländischen Opfern der hiesigen Christentumsprüderie bleibt also die hüftwiegende Freude des Rai-Tanzes vor der Bühne einstweilen erhalten.
Bellemou Messaoud bläst dazu seine, meist gestopfte, Trompete. Was geht ihn das alles an? Der 1947 Geborene ist schon länger im Geschäft, zählt zu den „Urahnen“ des Rai. Er hat in den schziger Jahren maßgeblich zu dessen Popularisierung beigetragen. Mit seinem Ensemble mimte er den Anheizer für Hochzeiten und dem lokalen Fußballverein von Oran. Er asphaltierte den Weg zum rasenden Erfolg der „jungen“ SängerInnen Cheb Khaled, Cheba Fadela oder Cheb Kader heute.
Messaoud hat einen seiner Rai-Enkel als Sänger engagiert, der im schwarzen Frack mit Fliege elegant und charmant seine Sehnsüchte vertont. Manchmal entwickelt sich, fast wie im Jazz, ein Frage- und Antwortspiel zwischen Trompete und Gesang. Die zweite Trompete mischt sich ins Gespräch der beiden vorne, unterbricht das intime Geplänkel oder untermalt mit erwärmenden Tupfern den Flirt der frisch Verliebten. Doch nie wird der Rahmen gesprengt, kommt es zu derben Anzüglichkeiten oder einem bösen Eifersuchtston. Hier geht es weniger um Fickmusik mit Hardcoretouch, als um den Schmusesound zum gemütlichen aidspubertären Petting mit Gummihandschuh. Trotzdem tausendmal erregender als Bolero und Donna Summer zusammen.
Viel zu relaxt und erholt kommt diese traditionelle Vorform des modernen Rai daher, als daß man ihr als Bleichgesicht das Image von der Sexrevolten-Musike abnehmen vermöchte. Dazu kommen das mangelnde Verständnis der Texte, die vielleicht einmal für nicht arabischkundige, elektronisch im Laufschritt untertitelt werden sollten. Wohlgemerkt sprechen diese Einwände weniger gegen die Musik, die eine angenehm beruhigende Komponente besitzt, als gegen die euphorische Begeisterung, die hierzulande zu einer verzückten Kolportage all dessen beiträgt, was fern genug klingt, um das Gütesiegel „Ethno“ aufgedrückt zu bekommen. In keinem Kebab -Salon der Stadt hat man je so fröhlich armringende Orient -Musik-Liebhaber gesichtet wie bei Rai- Kozerten.
Draußen, auf der kleinen Bühne des Tempodrom, spielen Bellemou Messaoud und seine Mannen sich weiter durch Begeisterungsausbrüche, heizen die wenigen gekommenen Araber durch Zurufe an, trommeln Tablaklänge herbei und schwenken das Akkordeon, als hätte der Rai auch eine Portion Schifferklavier wohlverdient. Die Trompeten zanken sich immer noch nicht, die Unterhaltung verläuft munter, aber moderat.
Auch ein Yamaha DX-7 kann dieser Musik nichts Böses antun, er wird zum multifunktionalen Flöten-Synthie. Der Rai scheint, wie ein Hai, alles zu verschlucken, nichts ist ihm unbekömmlich, sein Magen verarbeitet all den westlichen Einwegpop zu einer bekömmlichen Suppe, die jedem zu schmecken scheint.
Doch der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht. Aber Vorsicht, denn man sieht sie nicht.
Andreas Becker
Bellemou Messaoud heute, Samstag, 21 Uhr 30, vorm Tempodrom. Morgen ab 15.00 Uhr im Haus der Kulturen der Welt.
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