: „Der Sozialismus in Mozambik ist passe“
Nach der Allianz mit Weltbank und IWF sind die Märkte voll im Frontstaat zu Südafrika / Ein „Programm zum wirtschaftlichen Wiederaufbau“ soll die zerrüttete Wirtschaft wieder aufbauen / Doch die Bevölkerung kann sich die Sanierung nicht leisten / Schulen und Krankenhäuser werden zu teuer ■ Aus Maputo Yvonne Ayoub
Geschäftigkeit herrscht auf dem Zentralmarkt von Maputa, der Hauptstadt Mosambiks. Menschenmengen schieben sich durch enge Gänge, die rechts und links von Ständen gesäumt werden. Sie sind mit Waren überfüllt, die noch vor einem Jahr kaum zu bekommen waren. Ein ungewöhnlicher Zustand in einem Land, in dem der Hunger zum Alltag gehört. Mangos, Ananas, Tomaten, Kartoffeln, Krebse, alles ist im Überfluß vorhanden.
Ein Menschenauflauf bildet sich, als vor der großen, im Kolonialstil erbauten Markthalle Kartoffeln aus Südafrika abgeladen werden. In der nördlichen Provinzhauptstadt Pemba sitzen am Nebentisch zwei Mosambikaner vor zehn randvollen Biergläsern. „Ein Relikt aus den Zeiten vor PRE“, erklärt mein Begleiter. Früher mußte man alles hamstern, auch Bier, wenn es mal was gab.“
PRE (Programa da Reabilitacao Economica) ist die Abkürzung für neue wirtschaftliche Sanierungsprogramme, das die marode mosambikanische Wirtschaft wieder leistungsfähig machen sollte. In Mosambik scheint eine neue Zeit angebrochen zu sein: Die Zeit nach PRE, dem „Programm des wirtschaftlichen Wiederaufbaus“. Augenfälligstes äußeres Phänomen von PRE ist das zunehmende Warenangebot. Nahrungsmittel und einfache Konsumgüter, Kleider, vergleichbar dem westlichen Chic der fünfziger Jahre, sind im freien Handel wieder zu kaufen. Die neue Warenvielfalt hat allerdings einen Haken: Die Preise sind immens gestiegen: Ein Kilo Tomaten kostet jetzt 400 Meticais (360 Meticais sind eine Mark), ein Huhn 2.000, und zwölf Eier sind für 1.500 Meticais zu haben. All dies bei einem Mindestlohn von 16.000 Meticais, umgerechnet 44 Mark monatlich für einen städtischen Industriearbeiter.
Zwar wurden zu Beginn der Sanierungsmaßnahmen die Löhne verdoppelt, aber zugleich stiegen die Preise um ein Vielfaches.
Überleben nicht möglich
Für eine fünfköpfige Durchschnittsfamilie ist das Überleben mit diesem durchschnittlichen Mindestlohn nicht möglich, da sie für Nahrungsmittel etwa 13.000 Meticais monatlich benötigt. Eine Stadtwohnung kostet an Miete, Strom und Wasser aber schon 14.000 Meticais.
Menschenschlangen, die stundenlang vor den Lebensmittelläden stehen, um die spärlichen Güter zu ergattern, sind allerdings nicht mehr zu sehen. Stattdessen bilden sich Trauben vor den Computerkassen der privaten Dollar- und Randläden, um Cadbury Schokolade und portugiesischen Sekt zu erstehen. Natürlich nur für diejenigen, die es sich leisten können.
Durch den Beitritt Mosambiks zum IWF ist das Land kurzfristig dem Bankrott entkommen. Doch um welchen Preis? Höhere Preise, Abwertung und Abbau der Subventionen werden der Regierung perspektivisch keine Lorbeeren bei der einfachen Bevölkerung bringen. Aber eine Alternative ist nicht in Sicht.
Frelimo übernahm
eine zerstörte Wirtschaft
Nach der Befreiung vom portugiesischen Kolonialismus 1975 übernahm die ehemalige Befreiungsbewegung und jetzige Regierungspartei Frelimo eine bankrotte, zerstörte und unterkapitalisierte Wirtschaft. Mehr als die Hälfte der Weißen hatte noch vor der Unabhängigkeit das Land verlassen. Ärzte, Unternehmer, Rechtsanwälte und Siedler verließen das Land in Scharen, zerstörten teilweise noch ihren Maschinen und Fuhrpark oder vernichteten wichtige Gebrauchsanleitungen. Über schwarze mosambikanische Fachkräfte verfügte das Land nach der Unabhängigkeit kaum, so gab es in ganz Mosambik etwa nur einen schwarzen Lokomotivführer.
Die Frelimo übernahm nach und nach die Kontrolle über die Produktion. Vor allem von der Modernisierung des ländlichen Sektors versprach sich die neue Regierung den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft. Praktisch bedeutete dies, die Aufteilung des Landes in große Staatsfarmen, in die alle materiellen und menschlichen Ressourcen investiert wurden. Die Kleinbauern hingegen wurden sträflich vernachlässigt. Niedrig gehaltene Agrarpreise motivierten sie nicht gerade zur Produktion, zumal es für das wenige Geld nichts zu kaufen gab. Viele staatliche Großprojekte arbeiteten aufgrund interner Organisationsmängel unrentabel. Hinzu kamen die 1981 einsetzenden Aktivitäten der vom rhodesischen Geheimdienst aufgebauten und von Südafrika unterstützen rechten Guerilla Renamo. Diese Mörderbanden zielen darauf, das sozialistische Mosambik zu zerstören. Überfälle auf Dörfer, grausame Verstümmelungen, vornehmlich an Frauen, Kindern und Alten, sollen der Frelimo die Unterstützung entziehen. Gezielte Angriffe auf Transportwege, Industrieanlagen und Elektrizitätswerke legen die Wirtschaft lahm. Das Resultat dieser Terrorakte war bald ein rapider Rückgang der Produktion und der totale Zusammenbruch des Marktes. Geld als Zahlungsmittel wurde bedeutungslos, stattdessen regelten Bezugsscheine und Privilegien den Erwerb von Grundnahrungsmitteln. Die nationale Wirtschaft bestimmte zunehmend der Schwarzmarkt, der Waren zu horrenden Preisen anbot. Der Staat häufte große Defizite an, auch durch die Subventionierung von Grundnahrungsmitteln und Wohnungen. Kostenlose Bildung und kostenlose Gesundheitsversorgung - die positiven Errungenschaften der Frelimo - und die Subventionierung von Staatsfarmen und Industrien taten ein Übriges zum wirtschaftlichen Niedergang. Die Importe stiegen in einem Tempo, das in keiner Relation zu den Exporten stand. Das Bruttosozialprodukt sank zwischen 1973, also zur Kolonialzeit, und 1986 um die Hälfte. 1983 war das Land nicht mehr in der Lage, den Schuldendienst aufrecht zu erhalten. Der Staat war faktisch bankrott.
Mosambik war dem
Comecon zu teuer
Mosambik stellte zwei Anträge auf Aufnahme in den Comecon, die abgelehnt wurden. Nach Cuba und Vietnam war Mosambik zu teuer. Die sowjetische Führung half nur mit Militärhilfe und technischen Beratern. Die große dauerhafte Geldspritze aber blieb aus.
Das Zusammenspiel von Krieg, externen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und internen politischen Fehlern erzwang geradezu eine wirtschaftliche Veränderung und führte 1982 zu einer Richtungsänderung der mosambikanischen Entwicklung. Ausschlaggebend für die Umsetzung des wirtschaftlichen Sanierungsprogramms war der Eintritt der Mosambikaner in den IWF im September 1984. Präsident Samora Machels Öffnung zum Westen war eine notwendige Voraussetzung zur Durchführung von PRE. Auf diesem Wege hatte das 1984 mit Südafrika geschlossene Nkomati Abkommen - der „Nichtangriffspakt und Vertrag über gute Nachbarschaft“ zwischen Mosambik und Südafrika - eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Durch diesen diplomatischen Coup, der für Mosambik allerdings weder Ruhe vor der Renamo, noch vor der direkten Destabilisierung Südafrikas brachte, war der Weg offen für eine Mitgliedschaft im IWF und der Kreditvergabe der Weltbank und für einen sprunghaften Anstieg westlicher Gelder. Die Entwicklungshilfe, die zwischen 1980 und 1983 etwa 70 Millionen US-Dollar betrug, stieg 1984 auf 168 Millionen US-Dollar und wuchs 1986 weiter um 33 Prozent und 1987 um 64 Prozent an. Ein Umschuldungsprogramm der Außenschulden, mittlerweile auf vier Milliarden Dollar angestiegen, wurde vereinbart.
Welche konkreten Maßnahmen beinhaltet nun das Sanierungsprogramm, das im Januar 1987 angelaufen ist? Ein zentraler Punkt besteht in der Förderung des ländlichen Familiensektors. Den Bauern wurden höhere Abnahmepreise garantiert, um sie zu vermehrter Produktion von Grundnahrungsmitteln und Exportgütern wie Kashewnüssen zu motivieren. Zum Zwecke weiterer Produktionsanreize geht die Regierung zu einem leistungsbezogenen Lohnsystem in den staatseigenen Betrieben über. Arbeiten die Fabriken nicht mehr rentabel, werden sie dichtgemacht. Wie bei allen Ländern, die sich dem IWF und Weltbankdiktat unterworfen haben, sah sich Mosambik dazu gewzungen, seine Währung mehrmals abzuwerten. Allein seit Beginn des Programms wurde der Meticais sechsmal abgewertet. Etwa 1987 um 500 Prozent. Hierdurch verteuerten sich die importierten Produkte für Verbraucher erheblich.
Handel mit Südafrika blüht
Der Handel wurde teilweise liberalisiert, die Preisbindungen auf den nationalen Märkten aufgehoben. Mittlerweile existieren 21 private Außenhandelsfirmen, hingegen nur noch 14 staatliche.
Insbesondere der Handel mit Südafrika blüht. Vom Zement, vor Jahren kaum zu haben, bis zur Cola mit der Aufschrift „Keep South Africa tidy“ - alles kommt mit Lastern aus der Burenrepublik. Die Fahrer erhalten Gefahrenzulagen, weil die Transporte von den 'Freunden‘ der Südafrikaner, der Renamo, häufig überfallen werden.
Perspektivisch sollen die ökonomischen Aktivitäten des Staates zugunsten verstärkter Privatisierung in allen Bereichen eingeschränkt werden. Im täglichen Leben der Mosambikaner hat dies erhebliche Folgen auf das individuellen Verhalten. Wo es eben möglich ist, werden Geschäfte gemacht. Ob es der stellvertretende Gouverneur der Provinz Cabo Delgado ist, der bei westlichen Kreditgebern um Finanzierung seiner privaten Maismühle bittet, oder der Flughafenzöllner, der uns im Devisensupermarkt anspricht und versucht, von uns ein paar Dollars mit der Begründung zu ergattern: „Sie sind hier doch gut eingereist, sie wollen doch sicherlich ohne Probleme wieder ausreisen. Und jetzt brauche ich Dollars, um hier einzukaufen.“
Ob die von der Regierung getroffenen Maßnahmen greifen werden, bleibt abzuwarten. Zwar stieg das Bruttosozialprodukt 1987 - dem ersten Jahr von PRE - wieder, doch die negativen Auswirkungen des Programms deuten sich nach zwei Jahren schon an.
Neben den sprunghaft gestiegenen Preisen für Nahrungsmittel, Mieten, Wasser und Strom macht sich Unmut unter denjenigen breit, die nicht in den Genuß von südafrikanischen Rand (südafrikanische Währung) kommen und keine Koo-Konserven aus Südafrika im Devisenshop kaufen können.
„Bandidos“ verhindern wirtschaftliche Gesundung
Produzenten und Kaufleute profitieren von den höheren Preisen, hohe Staatsfunktionäre erhalten unkomplizierter Waren, an die sie früher schwerer herangekommen sind. Auch wenn das Programm hauptsächlich dem landwirtschaftlichen Familiensektor zugute kommen soll, wird es für diejenigen Kleinbauern, die es am nötigsten hätten, insbesondere diejenigen, die nicht stadtnah in den Grünzonen produzieren, fast unmöglich sein, an dem Prozeß teilzuhaben. Nach wie vor starre staatliche Bürokratien und die 'bandidos armados‘, die bewaffneten Banden, wie die Renamo gemeinhin bezeichnet wird, lassen das Programm auf dem Land kaum wirksam werden.
Mit dem Beitritt zum IWF wurden zahlreiche Zugeständnisse von der Regierung gefordert: Beispielsweise der Ausbau der Rolle des privaten Sektors und der Abbau der Subventionierung des Gesundheits- und Bildungsprogramms, eine der Grundlagen der Popularität der Frelimo. Jochen Gessner, ein hartgesottener Mittfünfziger aus der Bundesrepublik, der als Wildhüter einem Safariabenteuerfilm entsprungen sein könnte, genießt das Vertrauen der Provinzregierung. Er erzählt, daß er öfter seinen Arbeitern Geld leihen müßte, damit sie ihren Krankenhausaufenthalt bezahlen könnten. „Zur Schule gehen schon längst nicht mehr alle Kinder, obwohl in jedem kleinen Hüttendorf eine zu finden ist. Die Schulbücher sind einfach zu teuer geworden.“
Bis jetzt gelang es der Regierung immer noch, das Wirtschaftsprogramm als Hoffnungsträger zu verkaufen. Die Frage ist nur, welche Alternativen sich der Regierung anbieten angesichts der seit Jahren andauernden Destabilisierung durch Südafrika, der dringend erforderlichen Reparaturen der zerstörten Eisenbahnlinien, der ungünstigen Austauschbedingungen, die sie mit ihren Hauptexportprodukten Cashewnüsse, Kobra, Baumwolle, Tee und Reis auf dem Weltmarkt vorfinden.
Klar ist jedoch: IWF und Weltbank haben ihre Hebel angesetzt. Auch Mosambik scheint ihnen nicht zu entkommen. Jose Luis Carbaco, Parteisekretär für auswärtige Angelegenheiten und Mitglied des Zentralkomitees, hält die Öffnung und damit das Einverständnis zur IWF-Auflagenpolitik als den einzigen gangbaren Weg: „Die nationale Produktion muß erhöht werden. Sie können nichts teilen, wenn sie nichts haben, und was wir tun müssen, ist die Produktion und den Wiederaufbau zu verstärken. Dazu müssen alle Bereiche der Gesellschaft mobilisiiert werden. Wenn die Produktion zur ersten Priorität wird, ist es schwierig, gleichzeitig soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten, angesichts der Situation, in der sich Mosambik befindet.“
Nicht verteilen,
was wir nicht haben
1984 sah das noch anders aus - in einem Kommentar der mosambikanischen Nachrichtenagentur AIM vom April war zu lesen: „Der Imperialismus wird nun mit wirtschaftlichen Mitteln versuchen, das zu vollbringen, was ihm mit militärischen Mitteln nicht gelungen ist - die Zerstörung des Sozialismus in Mosambik.“ 1989 bestätigte mir Jose, Journalist bei AIM, diese Meinung. „Der Sozialismus in Mosambik ist passe“, sagt er resigniert.
Die Gefahr, durch den Ausbau der Rolle des privaten Sektors und eines heimischen Kleinbürgertums die im Vergleich mit anderen afrikanischen Staaten relativ homogene Klassenstruktur zu zerstören, ist groß. Doch Krieg und Entbehrungen haben nicht nur die Wirtschaft zerschlagen, sondern auch die guten politischen Absichten. Nur die westlichen Kredite geben dem Land den Spielraum, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Der Preis ist hoch, doch eine Alternative scheint nicht in Sicht.
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