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Freue Dich, Zion,

■ über die radikal subjektive Freude des entpastoralisierten Pastor Hagedorn

Was spezifisch protestantischer Stallgeruch ist, erfährt mensch erst richtig, wenn er unvermutet fehlt, wenn einer ins Personal gerutscht ist, an dem, außer Bäffchen und Talar, nichts stimmt. Wenn einer auf der niederen Kanzel der Zionskirche steht, der nicht Pausen zur rhetorischen Signifikanzerhöhung macht, sondern wie sie ihm kommen; viele, als er beginnt, als er drin ist, weniger, aber immer beunruhigend lang, momentan zu sich selbst zurückkehrend, die Gemeinde sich überlassend. Da redet jemand nur mit seiner eigenen Stimme und man merkt, das gehört sich nicht. Es gehört die Stimme erhoben in prononcierter Ernsthaftigkeit und jener spezifischen Getragenheit, die auf die andere, höhere Autorität verweist, die aus ihr tönt. Und dann die Hände! Ich sehe plötzlich zwei Pastorenhände lebhaft hin-und herfahren, eine innere Bewegung beschreiben und ich sehe gar eine einzelne Pastorenhand ihren Inhaber anfassen, am Ohr und an der Stirn und werde schlagartig gewahr: solche Ausdrücke individueller Befassung Kommen sonst einfach nicht vor.Tabu!

Der Pastor, der sich da gegen die einschlägige Grundsozialisation sträubt, Hagedorn, vier knappe Jahrzehnte alt, kam aus Niedersachsen, den zweiten von vier Zionsgottesdiensten zur Auslegung von Paulus‘ Biefen an die Philipper zu halten. Eine Auslegung, ähnlich radikal subjektiv, wie der entpastoralisierte Pastor selbst. Sätze, aus denen Paulus‘ aggressive Rechtschaffenheit leuchtet, (“...damit ihr untadelig und ohne Falsch werdet, makellose Kinder Gottes mitten unter einem verkehrten und verdrehten Geschlecht..“.) auf die Fundamentalo-Motschmann von Martini die ganze Predigtlanze zugespitzt hätte, interessieren ihn nicht. Ihn interessiert, daß Paulus seinen zweiten Brief in einen Appell zur Freude „einklammert“.Das mit der christlichen Freude, sagt er, habe er nie recht glauben können, wenn sie in 1.,2., 3. vom Pastor erläutert, aber zwischen den Menschen nicht zu bemerken gewesen sei. Und dann übersetzt er von seiner eigenen Erfahrung her: Freude ist, z.B., wenn man Menschen wiedertrifft, die für einen wichtig sind und sie an der Haustür umarmt. Daß Christus „sich selbst entäußerte“, nicht an seiner göttlichen Gestalt festhielt, ist das, was passiert, wenn jemand bei einer Tätigkeit, die er liebt, sich so sehr selbst vergißt, daß er wieder bei sich ist. Und der „Gehorsam“, zu dem Paulus die Philipper auffordert, ist das Hinhorchen auf den anderen, etwas von dem anderen mitkriegen. Ein freundlicher, selbstständiger Mensch, der ein paar simple, entscheidende Weltweisheiten, derer er sich sicher ist, als das christlich Gemeinte bezeugt, mir hat der gefallen. Uta Stoll

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