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Wenn SchülerInnen Hakenkreuze schmieren

■ LehrerInnen diskutierten auf Einladung des Ausbildungspersonalrats, wie die Schule auf Rechtsradikalismus bei SchülerInnen reagieren kann

Wie reagiert ein linksliberaler Lehrer, wenn die sechs Skins in seiner Klasse, ihn vor jeder Deutschstunde provokativ mit dem Hitlergruß empfangen? Was macht er, wenn sich deutsche SchülerInnen weigern, sich von einer türkischen Kollegin unterrichten zu lassen. Bremer ReferendarInnen waren am Donnerstag eingeladen, eine Podiumsdiskussion ihres Ausbildungspersonalrates zu besuchen. Thema: „Rechtsradikale auf dem Vormarsch - Neue Anforderungen an die Schule“. Es waren zwar nur wenige ReferendarInnen erschienen, dafür aber gleich drei Berufsschulklassen mit Rechtsanwaltsgehilfinnen, so daß die Veranstaltung einen lebhaften Verlauf nahm.

Als erster Podiumsdiskutant hatte Erwin Jürgensen vom „Wissenschaftlichen Institut für Schulpraxis“ das Wort. Jürgensen wandte sich dagegen, weitere Unterrichtseinheiten über Faschis

mus und Neofaschismus für die Lösung des Problems zu halten. Schule müsse stattdessen auf die „wahren Bedürfnisse“ reagieren, die sich hinter dem Gruppenverhalten der nach rechts abdriftenden Jugendlichen verbergen. Als „wahre Bedürfnisse“ zählte er auf: Orientierung, Zugehörigkeit, Aktivität, Selbstbestätigung, Identität. Die Schule müsse hin zu „überschaubaren Einheiten“, zu „Freizeitpädagoggik“, zu Musik-AGs, zur Alltagsgeschichte. Und der Geschichtsunterricht solle weg von der „Opferpädagogik“, da sich Jugendliche nur schwerlich mit den Opfern des Faschismus identifizieren könnten. Den SchülerInnen sollten dagegen Widerstandskämpfer als Idenfikationsfiguren angeboten werden.

Nachdem Erwin Jürgensen soviel und noch mehr über „cäsaristische Identifikation mit einem Führer“, über „Omnipotenzphantasien am Spielautomat“ und

über „Pluralität der Lebenswelten“ gesprochen hatte, meldete sich eine mutige Berufsschülerin zu Wort. Sie habe dank der zahlreichen Fremdwörter fast nichts von seinem Vortrag verstanden: „Es sitzen hier nicht nur ausgebildete Lehrer. Es sitzen hier auch Schüler.“ - Darauf erwiderte der Referent: „Danke für den Hinweis.“

Einfacher und verständlicher sprach Volker Homburg von der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes): „Die Schule soll nicht mmer nur über

Handlungsmöglicheiten reden, die Schule soll handeln.“ SchülerInnen sollte gestattet werden, ihre Schulräume nach ihren Bedürfnissen zu gestalten, Schulklasse sollten es als gemeinsame Kampfaufgabe betrachten, dafür zu sorgen, daß alle einen Ausbildungsplatz bekämen.

Ein Lehrer im Ruhestand, Rudolf Prahm, berichtete davon, wie in den 50er Jahren sein damaliges Kollegium in Habenhausen auf die „Halbstarken“ reagiert hätte: „Wir haben eine schuleigene Volkshochschule ins Leben

gerufen, haben Angebote gemacht, die die Jugendliche interessierten.“

Sandra Koopmann vom antifaschistischen Jugendbündnis verwahrte sich jedoch dagegen, daß auf dem Podium „Lehrer, Pädagogen und ältere Leute“ über und für die Jugend sprächen: „Es geht nur, wenn man die Schüler fragt, die schließlich in die Schule gehen müssen, ohne Geld dafür zu kriegen.“ Gerade auf den Berufsschulen sei der Unterricht frontal, müßten die SchülerInnen stur auswendig lernen, würden

eben nie nach ihrer Meinung gefragt.

Einige Schülerinnen im Saal meldeten sich vehement zu Wort. Vorschläge für eine andere Schule hatten sie nicht parat, dafür aber Erfahrungen mit rechtsradikaler Gewalt. „Was kann ich tun, was kann ich machen?“ wollte eine nachdrücklich vom Podium wissen. Einige zählten Situationen auf, in denen sie sich keinen Rat mehr gewußt hatten und für die sie den Rat des Podiums - „den Dialog suchen“ - nicht brauchen konnten.

Beispiel eins: Eine Schülerin mischte sich mutig ein, als in einem Bus in Horn-Lehe ein Skin einen Ausländer anpöbelte: „Alle haben weggeguckt. Später hat mich dieser Skin deswegen mit seiner Gruppe gehörig verkloppt. - Was sollte ich tun? Sollte ich vielleicht stehen bleiben und sagen: Laßt uns miteinander diskutieren?“

Eine andere Schülerin war Zeugin, als am 100. Hitler -Geburtstag im April Rassisten in Thedinghausen einen Fackelzug zu dem Haus veranstalteten, in dem heute AsylbewerberInnen untergebracht sind. „Ich wußte nicht, was ich tun sollte.“

Patentrezepte gab es auf dieser Veranstaltung nicht - aber immerhin einen Austausch über ein jahrelang bagatellisiertes Thema. Schließlich sind die Hakenkreuze an den Klotüren der Schulzentren älter als der Rechtsrutsch bei der Europawahl.

Barbara Debus

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