TRÄNEN DER TRAUER

■ „The Pearl“ vom Footsbarne Travelling Theatre auf der Mir Caravane

Das Unheil kündigt sich schon an, als ein metallen klappernder Skorpion durch die Manege des Theaterzeltes gezogen wird, während noch ein Schwarm Menschen mit Fischköpfen harmonisch über ein sanft bewegtes, meergrünes Seidentuch gleitet. Hier bei den Fischen ruht in einer Muschel eine riesengroßes Perle.

In der Nähe des bolivianischen Meeresstrandes wohnen die ganz Armen, die Indios, die aufs Meer ziehen, in der Hoffnung, irgendwann einmal den großen Fang zu machen. Pepe findet die kostbare Muschel, und die Freude ist immens. In wilden, in gelbes Licht getauchten Träumen schwebt ihm ein Leben ganz ohne Arbeit vor. Ständig könnte er betrunken sein und jede Frau heiraten, die er wollte. Dann aber geht die Sonne auf, ein gelbes Bastungetüm auf einer Stange, und Entsetzliches beginnt, das alle bisher erlittene Not in den Schatten stellt.

Das Footsbarne Travelling Theatre, das im letzten Jahr schon mit Shakespeare und Bulgakow in Berlin gastierte, hat John Steinbecks lyrische Novelle in ein derbes Volksstück verwandelt. Von unersättlicher Gier getrieben, versuchen die Kolonialherren, ein korrupter Arzt und ein verlogener Geistlicher, an Pepes Muschel heranzukommen. Das Ensemble greift zu allen Mitteln, die einem Wandertheater zur Verfügung stehen, um die Gewalt, die von den kolonialen Eindringlingen ausgeht, so drastisch wie nur möglich darzustellen, setzt Pantomime und Slapstick-Einlagen ein und greift zu akrobatischen Kunststücken. Ein Kind aus der Gruppe taucht auch schon einmal als Hausschwein auf.

Nichts ist ihnen heilig, weder die Bibel, die der Priester der des Lesens unkundigen Familie Pepes andreht, noch das Leben des Babies, das von dem Metall-Skorpion gestochen wurde. Pepes Familie kann nur versuchen, die Muschel so schnell wie möglich in Bares umzusetzen, doch selbst auf dem Markt der Einheimischen versucht man nur, sie übers Ohr zu hauen. Als ihre Lage lebensgefährlich wird, verlieren die Familienmitglieder die Nerven: Der Großvater geht auf die Großmutter los, die Jüngeren schlagen sich, bis der erste tot daliegt. Zu den schrillen Tönen der Theaterkapelle erhebt sich lautes Wehgeschrei.

Worte sind in der Aufführung des Footsbarne Travelling Theatre nicht nötig. Die wenigen Brocken, die das internationale Ensemble auf Englisch, Spanisch und Deutsch spricht, würden in jeder Sprache an jedem Ort verstanden werden. Wichtiger sind die SängerInnen und MusikerInnen, die um das Bühnenrund verteilt sitzen und das Geschehen musikalisch kommentieren, und die bizarren Masken der SchauspielerInnen. Sogar ein schwarzes „Pferd“ auf Stelzen erscheint, das den angsteinflößenden Kopf aus Draht hin- und herschleudert, stampft, schnaubt und mit dem Schweif schlägt, als ob es sich an der Verfolgung der Fliehenden mit ganzer Seele beteiligen wollte.

„The Pearl“ endet tragisch. Nur zwei überleben. Selbst das Baby wurde getötet - aus seiner Brustwunde quillt eine rote Blume. Der Entsetzensschrei der Mutter gellt noch lange danach in den Ohren...

Claudia Wahjudi