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'Vorwärts'-Desaster nimmt kein Ende

■ Betriebsrat verbittert nach Einstellung des traditionsreichen SPD-Blattes / Erst eine Redakteurin hat eine neue Anstellung / Auch das neue 'Sozialdemokratische Magazin‘ trägt sich nicht selbst

Bonn (afp) - „Es ist schon bitter zu sehen, daß die SPD jetzt mit dem neuen Blatt ähnliche Probleme hat, deretwegen sie den 'Vorwärts‘ eingestellt hat.“ Das sagen der 'Vorwärts'-Betriebsratsvorsitzende Sigurd Baecker und seine Stellvertreterin Marianne Hochgeschurz drei Monate nach dem Aus für die 113 Jahre alte SPD-Parteizeitung. Bisher habe aus der Redaktion nur eine Mitarbeiterin eine neue Stelle gefunden, bei vier weiteren geht der Betriebsrat davon aus, daß sie beim Nachfolger 'Vorwärts-Sozialdemokratisches Magazin‘ unterkommen. Die Arbeitnehmervertreter bescheinigen der SPD guten Willen bei der Hilfe zur Stellensuche. Auch der Sozialplan sei recht großzügig ausgefallen. Der Interessensausgleich sei allerdings nur mühsam und zum Teil erst durch den Druck der Einigungsstelle zustande gekommen. Am 14. April 1989 hatte die SPD-Führung nach langem Hin und Her beschlossen, das zuletzt als Wochenzeitung erscheinende Blatt einzustellen, weil die Partei-Zuschüsse aus der Sicht des Schatzmeisters zu hoch gewesen waren.

Das neue Medium - faktisch eine aufwendigere Weiterführung der zuvor zehnmal jährlich erscheinenden Mitgliederzeitung 'Sozialdemokratisches Magazin‘ (SM) - sollte sich mit mehr Anzeigen, einem größeren Umfang und monatlicher Erscheinungsweise selbst tragen können. Davon könne nun keine Rede sein, urteilte der Betriebsrat. In der ersten Ausgabe seien noch viele alte Anzeigen gewesen, die ursprünglich für den 'Vorwärts‘ bestimmt gewesen seien. Schon in der zweiten Nummer seien es dann deutlich weniger Inserate gewesen.

„Die Finanzierbarkeit war das Hauptargument gegen das Weitererscheinen des 'Vorwärts‘, und nun wird sich das neue Blatt auch nicht selbst tragen können“, kritisierten die Arbeitnehmervertreter. Der Sozialplan ist für 49 Mitarbeiter konzipiert, von denen 13 aber in der alten Verlagskonstruktion verbleiben, in der beispielsweise auch die „Demokratische Gemeinde“ weiterproduziert wird. Bei acht Mitarbeitern aus dem Verlagsbereich habe der Betriebsrat den Kündigungen zugestimmt, weil die Angestellten das gewollt hätten. Insgesamt elf geplanten Kündigungen zum Ende September und Ende Dezember aus der Redaktion habe die Arbeitnehmervertretung nicht widersprochen, nachdem aus der SPD der Wille zur Hilfe erkennbar war. Darunter seien noch zwei Kollegen, deren Vertrag Ende September ausläuft und die derzeit keine Arbeit in Aussicht hätten. Auch die vier Ende Dezember zu kündigenden Mitarbeiter hätten noch keine neue Stelle. Drei Kollegen hätten einen Auflösungsvertrag geschlossen. Bei einigen weiteren Fällen sind die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen; die Betriebsratsmitglieder, die Angehörigen des Redaktionsausschusses und Mitarbeiter, die im Mutterschafts oder Erziehungsurlaub sind, sind noch gar nicht gekündigt.

SPD-Schatzmeister Hans-Ulrich Klose habe bisher in bezug auf den Sozialplan sein Versprechen eingelöst, mehr für die alten 'Vorwärts'-Beschäftigten zu tun, als rechtlich erforderlich gewesen wäre. Dennoch ist der Betriebsrat verstimmt über eine Kleinigkeit: Der Anwalt des Arbeitgebers verlangt Geld für Gerichtskosten, die durch eine Einstweilige Verfügung des Betriebsrates entstanden sind. Aus der Sicht der Arbeitnehmervertretung sind dies aber Kosten, die im Rahmen der Betriebsratsarbeit entstanden sind und demzufolge vom Arbeitgeber getragen werden müssen.

Die soziale Sicherheit ist also nach über 100 Jahren sozialdemokratischer Pressegeschichte für die letzten 'Vorwärts'-Mitarbeiter zunächst gegeben. Aber die Befriedigung einer Arbeit, mit der sich die Beschäftigten identifizierten, ersetzt das nicht. Der alte Zusammenhalt der Redaktion bricht auseinander, zu den wöchentlichen Treffen kommen immer weniger Kollegen. Viel Bitterkeit herrschte in der Redaktion, weil die endgültige Entscheidung über das Ende ihrer Ansicht nach über ihren Kopf hinweg gefaßt wurde.

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