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DDR: Neokolonialismus Polen: Gute Einmischung

■ Ost-Reaktionen auf den Weltwirtschaftsgipfel offenbaren tiefen Bruch

Berlin (taz) - Eines dokumentieren die Reaktionen auf den Weltwirtschaftsgipfel: Die sozialistischen Staaten sind sich uneins wie nie zuvor über die Zusammenarbeit mit dem Westen. Gorbatschow will sie demnächst auf ganzer Linie, so daß der US-Präsident schon meint, bremsen zu müssen, in Polen ist man diesbezüglich schon allseits zufrieden mit dem Gipfelverlauf, für Ost-Berlin waren dort nur Neokolonialisten versammelt „mit lefzender Zunge“, und in China schließlich hatte man offenbar nichts gegen die wirtschaftlichen Debatten auf dem Gipfel einzuwenden, fühlt sich nur zutiefst ungerecht behandelt durch den Beschluß, dem Land keine Weltbankkredite mehr bereitzustellen.

Der Gipfel unterliege einer „Fehlkalkulation“, wenn Chinas Führung mit weiterem Druck gezwungen werden solle, den „gerechten Kampf gegen Rebellion und Umsturz“ einzustellen, schreibt die Pekinger 'Volkszeitung‘. Eine „konterrevolutionäre Rebellion“, die auf eine „gegen die Menschenrechte gerichtete gewaltsame Unterdrückung“ hinausgelaufen wäre, hätte niedergeschlagen werden müssen schon allein deshalb, weil die „Handvoll von Verschwörern“ mit einer in der neueren Geschichte Chinas „beispiellosen Grausamkeit“ vorgegangen seien, „die auch in der Welt eine Seltenheit“ sei. Um die Zusammenarbeit mit dem Westen wird gebuhlt mit dem Hinweis, das Land sei ein „in der Realität wie im Potential enormer Markt“.

Anders der Tonfall aus Ost-Berlin: „Die Gralshüter des Profits“ hätten sich in Paris vor allem gegen raumübergreifende Abrüstungsmaßnahmen gewandt, und „das wäre bekanntlich der erste Schritt, um Geld freizumachen für den Kampf gegen Seuche, Analphabetentum, Hunger“, schreibt die Zeitung der „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ), 'Junge Welt‘. Die Zeitung beklagt, daß die Entwicklungsländer täglich ihre Bodenschätze, Rohstoffe und Arbeitskraft zu Spottpreisen an den Westen verkaufen müßten - freilich ohne den Hinweis, daß die DDR im Welthandel auch keine Trinkgelder drauflegt. Die „Neokolonialisten“ und „imperialistischen Staaten“ sprächen von der Unterstützung von Wirtschaftsreformen in der ganzen Welt. Was sie meinten sei die Ein- und Unterordnung in den Gesetzeskodex kapitalistischer Politik und Ökonomie. „Mit lefzender Zunge lauert man da in Richtung Sozialismus, und diese eiskalte Technik wendet man auf die Entwicklungsländer an. Skrupellos.“

Über die hier beklagte Einmischung wiederum ist aus Polen Lobenswertes zu hören. Der Fraktionschef der „Solidarnosc“ im Parlament, Bronislaw Geremek, begrüßte in einem Interview die Erkenntnis der westlichen Staaten, „daß sich in Polen das Schicksal der Änderungen des europäischen Ostens entscheidet, daß dies die erste Chance ist, wirtschaftliche und Politische Reformen durchzuführen“. Solidarnosc -Wirtschaftsexperte Witold Trzeciakowski meinte, „wir werden (zwar) unser Programm der demokratischen und wirtschaftlichen Reformen durchführen unabhängig vom Umfang der Witschaftshilfe für Polen“, der Gipfel hätte diesbezüglich aber gezeigt, „daß die Aura gut ist“. Nicht nur die Oppositon, auch die regierende Arbeiterpartei war zufrieden: Nach dem Gipfel sei es nicht übertrieben, „wenn man feststellt, daß das Klima, das die angekündigten Schritte begleitet, wirklich gut ist“. Gegenüber Polen gebe es nicht mehr die Tendenz, die Erwartungen der Regierenden und der Bevölkerung als sich widersprechende Faktoren darzustellen.

Unterdessen meinte US-Präsident Bush zum Vorschlag Gorbatschow auf umfassende weltwirtschaftliche Zusammenarbeit, bis zur Teilnahme der UdSSR am Gipfel müsse das Land „noch eine ganze Menge“ tun.

Ulli Kulke

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