: „Die EG kann aus Tirol keine Tiefebene machen“
Der LKW-Transit durch Österreich ist zum innenpolitischen Thema geworden / Verkehrspolitiker widerstehen dem Druck aus Brüssel und Bonn ■ Aus Wien Christoph Chorherr
Das Problem ist keineswegs neu. Aber erst, als am 12. März sich im Tiroler Landtag die Mehrheitsverhältnisse änderten, nahm sich die große Politik des Themas an. Die bis dahin mit Zwei-Drittel-Mehrheit regierende konservative ÖVP verlor 16 Prozent und damit sogar die absolute Mehrheit. Die oppositionelle FPÖ verdoppelte ihre Stimmen, und die Grünen zogen mit acht Prozent erstmals in den Landtag ein.
Das Problem ist die EG-Transitlawine durch Österreich. Während die Schweiz ihre Restriktionen auf der Straße beibehielt oder sogar ausbaute und so erfolgreich den LKW -Transit in großem Umfang von der Schweiz fernhielt, errichteten die Österreicher eine Nord-Süd -Hochleistungsstraße nach der anderen. „Verkehr ist Leben“, war der Leitspruch von Tirols Altlandeshauptmann Wallnöfer, und „Tirol darf nicht umfahren werden“. Die parteipolitische Rechnung zahlte seine ÖFP, die Konsequenzen für Gesundheit, Natur und Lebensqualität müssen jetzt alle TirolerInnen tragen.
Das Ergebnis dieser Politik war und ist katastrophal:
-Zwischen 1970 und 1987 stieg der Straßengütertransit in der Alpenrepublik von 3,2 Tonnen auf 22 Millionen Tonnen. Das bedeutet ein Wachstum von fast 600 Prozent innerhalb von 17 Jahren.
-Im Vergleich dazu hat die Bahn in demselben Zeitraum nur eine Zunahme von 18 Prozent zu verzeichnen.
-Als Folge davon verringerte sich der Transportanteil der Bahn innerhalb der Verkehrsträger gegenüber der Straße von 71 Prozent (1970) auf knapp 30 Prozent (1988).
Entlang der 110 Kilometer langen Haupttransitroute von Kufstein über Innsbruck zum Brenner leben auf engstem Raum rund 44 Prozent der Tiroler Bevölkerung. Diese Menschen sind vom Transitverkehr unmittelbar in Mitleidenschaft gezogen. Studien belegen erhöhte Krebsgefahr, akute Schlafstörungen, extrem hohe Bleigehalte in der Muttermilch und starke Lärmbeeinträchtigungen.
Auch das rasante Waldsterben ist in Alpenregionen ein existentielles Problem: Der Wald erfüllt vor allem eine Schutzfunktion vor Lawinen, Muren und Überschwemmungen. Und bis zu 85 Prozent der Schadstoffbelastung an der Inntal- und Brennerautobahn stammt aus dem Transitverkehr. Das geht aus einer erst kürzlich fertiggestellten Studie hervor, die im Auftrag der Tiroler Landesregierung erstellt wurde.
Transit ist das Politthema Nummer eins, nicht nur in Tirol. Auch die Salzburger gehen auf die Barrikaden. Zweistellige jährliche Zuwachsraten des Transitverkehrs entlang der Tauernautobahn haben die Bevölkerung alarmiert. In diesen Bundesländern ist auch der Widerstand gegen den EG-Kurs der österreichischen Bundesregierung am größten.
Offen steht im Bericht der Wiener Koalition über das EG -Beitrittsansuchen, daß im Bereich des Transitverkehrs mit großen Problemen zu rechnen sein wird. Während Bürgerinitiativen und Grüne, aber immer stärker auch Politiker der Großparteien eine restriktive Transitpolitik nach Schweizer Muster verlangen, will die EG genau das Gegenteil:
-nicht die Reduzierung des Höchstgewichtes von LKWs von derzeit 38 auf 28 Tonnen wie bei den Eidgenossen, sondern Anhebung auf 42 Tonnen;
-nicht die Erhöhung der Transitgebühren, sondern eine Senkung;
-nicht ein Nachtfahrverbot oder gar zwangsweise Verlagerung auf die Schiene, sondern die Freiheit des Güterverkehrs.
Zu Recht weisen EG-Kritiker darauf hin, daß das jetzt unter dem wachsenden Druck der österreichischen Bevölkerung verhängte Nachtfahrverbot als EG-Mitglied nicht möglich gewesen wäre, genauso wenig wie die von Verkehrsminister Streicher angekündigten Normen für lärm- und abgasarme LKWs.
Die Auseinandersetzung zwischen österrreichischen Politikern und jenen Repräsentanten des freien Binnenmarktes wie dem Bonner Verkehrsminister Zimmermann, der bei der Aufrechterhaltung des Nachtfahrverbotes unverhohlen mit Sanktionen drohte, scheinen erst der Auftakt eines großen grundsätzlichen Konfliktes zu sein. Denn in Österreich herrscht weitgehende Einigkeit darüber, daß ein Nachtfahrverbot nur ein erster Schritt in der Transitpolitik sein kann; eine „Notoperation“ nannte es der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Johannes Voggenhuber. Unklar ist dabei allerdings, welche weiteren Maßnahmen die jährliche Wachstumsrate von fünf bis sieben Prozent auf den Transitrouten reduzieren sollen.
Erst jüngst teilte Tirols Landeshauptmann Partl mit, daß eine ökologisch verträgliche Obergrenze für den Transitverkehr festgelegt werden müsse. Und die verkehrserzeugenden Auswirkungen des EG-Binnenmarktes werden dafür sorgen, daß die Konflikte noch zunehmen werden. „Auch die EG kann aus Tirol keine Tiefebene machen“, rechtfertigt Verkehrsminister Streicher seine ersten restriktiven Schritte, die nach ersten Meinungsumfragen auf eine klare Mehrheit in der Bevölkerung stoßen. Viele setzen dabei alle Hoffnungen auf den Ausbau der Bahn. Verschiedenste Varianten eines Brenner-Basistunnels werden erörtert, doch ein Entschluß ist noch nicht absehbar. Das liegt nicht nur an der Schwierigkeit mit Italienern und Deutschen, eine gemeinsame Lösung zu finden, sondern auch am Widerstand jener, die bloßen technischen Lösungen eine Absage erteilen.
„Wenn nicht die Wachstumsraten im Transitverkehr durch eine andere Wirtschaftspolitik gebrochen werden, können wir alle paar Jahre einen neuen Tunnel durch die Alpen bauen, und trotzdem kriegen wir das Problem nicht in den Griff“, meint der Grüne Andreas Wabl. Die Subventionspolitik der EG lasse wirtschaftlich völlig unsinnige Transporte betriebswirtschaftlich rentabel werden. Milchtransporte von Italien nach Bayern treffen sich mit Milchtransporten von Bayern nach Südtirol. Südfrüchte werden von Griechenland nach Mitteleuropa zur Verarbeitung geschickt, um dann im Süden verkauft zu werden - alles mit dem LKW, natürlich.
Dabei gehört das Unternehmen Straße zu den größten Defizitbringern der Republik und erwirtschaftet bloß einen Deckungsgrad von 49 Prozent, stellte jüngst der Grazer Universitätsprofessor Gunther Tichy fest. Damit gab Tichy dem Verkehrsminister eine wichtige Unterstützung bei dessen Bemühungen, die Abgaben für den Straßenverkehr zu erhöhen.
Widerstand gegen alle diese Pläne gibt es von der Transportindustrie. Vor „überstürzten Maßnahmen“ wird gewarnt und darauf verwiesen, daß österreichische Frächter eine weitaus größere Kilometerleistung innerhalb der EG abspulten als EG-Brummis in Österreich. Die Spediteure und verweisen darauf, daß die Wertschöpfung des Transportgewerbes in Österreich größer als jene der Landwirtschaft sei. Daraus sei zu ersehen, wie überdimensioniert die LKW-Branche bereits sei, kontern die Kritiker.
Die Debatte hat jetzt auch auf andere Bundesländer übergegriffen. In Oberösterreich geht es um den Streit, ob die Pyhrn-Autobahn, eine Verbindung von Regensburg über Schärding und Spielfeld nach Maribor, als leistungsstarke Autobahn fertiggestellt werden soll. Als Bauern, denen die Enteignungsbescheide für ihre Äcker ins Haus geflattert waren, mit Traktoren und Kühen lautstark vor dem Regierungssitz des oberösterreichischen Landeshauptmanns Ratzenböck protestierten, gab dieser vorerst nach und ließ die Grundstückseinlösen stoppen. Die Behörde einstweilen: Man werde eben dort weiterbauen, wo der Widerstand nicht so groß sei.
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