piwik no script img

Vernichtendes Urteil für Berlins Verfassungsschutz

Interner Bericht der Untersuchungskommission: „Aktivitäten laufen demokratischer Gesellschaft zuwider“ / „Die Problematik des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz liegt nicht so sehr in seinen Fehlentwicklungen, sondern vielmehr in seinem Unvermögen, sich überhaupt zu entwickeln“  ■  Von Jürgen Gottschlich

Berlin (taz) - Er habe geweint vor Freude, gestand ein Mitarbeiter des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz (VS) nach der Wahl am 29.Januar dieses Jahres. Der CDU-Senat sei für seine Arbeit völlig unerträglich geworden. Jetzt dürfte es an der Clayallee, dem Sitz des Berliner Amtes, erneut Heulen und Zähneklappern geben. Denn der Bericht, den eine vom neuen Innensenator eingesetzte „Projektgruppe Verfassungsschutz“ vertraulich vorgelegt hat, ist ein an Deutlichkeit kaum zu überbietender Verriß des Amtes. Unfähigkeit, auf gesellschaftliche Veränderungen adäquat zu reagieren, und konservierte Frontstadtmentalität aus den 50er Jahren sowie - nach Auflösung des parlamentarischen Kontrollausschusses 1981 - eine „augenzwinkernde Übereinkunft, mit den tragenden politischen Kräften auf konspirative Weise zusammenzuarbeiten“, werden als wesentliche Ursachen für die Unfähigkeit des Amtes, „sich überhaupt zu entwickeln“ genannt. Dadurch ist eine Arbeitssituation entstanden, die selbst „Mitarbeiter als Anachronismus“ empfanden.

Dilletantismus auf

allen Ebenen

Der Arbeitsauftrag, den Innensenator Pätzold der „Projektgruppe Verfassungsschutz“ mit auf den Weg gab, umfaßte sämtliche Komplexe, die bereits dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß vorlagen, der in den letzten zwei Monaten vor der Berliner Wahl Fehlentwicklungen im Landesamt nachgehen sollte. Die damals noch strittigen Punkte sind jetzt ausnahmslos im Sinne der Anklage aufgeklärt. Für die Untersuchungsgruppe, die unter der Leitung eines in Berlin bekannten Anti- Korruptions -Staatsanwaltes arbeitete, steht beispielsweise fest, das der VS einen DDR-Übersiedler als Spitzel auf den damaligen innenpolitischen Sprecher der SPD und heutigen Innensenator Pätzold ansetzte. Der „Fall Telschow“, so hieß der Spitzel, der sich damals der taz anvertraut hatte, „ist dem Amt nach eigenen Einlassungen der beteiligten Mitarbeiter schlechthin über den Kopf gewachsen“. Insgesamt stellt der Bericht schwere Mängel bei dem Einsatz, der Führung und Betreuung von V-Leuten fest.

taz im Visier

Der Dilletantismus siegte auf allen Ebenen: Abgesehen von illegalen Aktionen wie jener gegen Pätzold und die taz gab es völlig unsinnige Einsätze gegen eine unbedeutende Gruppierung in Kreuzberg, auf die gleich „mehrere geheime Mitarbeiter angesetzt“ wurden, „weil die für die V-Mann Führung verantwortlichen Mitarbeiter von der gegenseitigen Arbeitslage keine Kenntnis hatten“. Im Amt herrschte schiere Geldverschwendung, wenn für „Betreuungstreffen mit einem ehemaligen V-Mann ohne jede nachrichtendienstliche Relevanz in einem Jahr mehr als 1.000,- DM für Getränke abgerechnet werden“.

In der Frage der Bespitzelung von Journalisten, und dabei insbesondere der taz, stellte die Untersuchungsgruppe fest, daß V-Leute ohne Befugnis und gegen den erklärten Willen des damaligen Innensenators Ulrich (bis Herbst 1981) jahrelang in der taz plaziert blieben. Ein Umstand, den der VS bis heute hartnäckig bestreitet. „Erstaunlich“, so die Amtsprüfer, „ist die mangelnde Sensibilität des Amtes bei der Werbung und Beschaffung eines Journalisten als V-Mann, mit dem man sich auch dann noch traf, nachdem der seinerzeit amtierende Innensenator Kewenig (CDU) fälschlicherweise erklärt hatte, das Amt beschäftige keine Journalisten als geheime Mitarbeiter. Der Mann wurde in den Diensträumen der Polizei geworben und auch dann noch angesprochen, als er bereits im öffentlichen Dienst beschäftigt war.“ „Dem Amt“, so die Schlußfolgerung, „ist nicht klar, daß derartige Aktivitäten unserer demokratisch verfaßten Gesellschaftsordnung vom Prinzip zuwiderlaufen“.

VS-Vorschriften verschwunden

Einen der Gründe für den Berliner Geheimdienstsumpf sieht die Untersuchungsgruppe in der Auffassung des langjährigen Amtsleiters Natusch, für den Vorschriften nichts anderes als eine unzulässige Einengung seiner Arbeit gewesen seien. „Es ist bezeichnend, daß im Amt nur eine einzige Sammlung der Vorschriften des Bundesamtes für Verfassungschutz existierte, die ein leitender Mitarbeiter des Amtes unzulässigerweise vor Monaten mit nach Hause nahm und erst nach längeren Nachforschungen jetzt wiedergefunden hat.“ Vorschriften für die Arbeit des Landesamtes zu entwickeln und neue Arbeitswege zu beschreiten wurde ohne Begründung verhindert. Natusch: „Ich will das nicht!“

Die fehlenden formalen Arbeitsstrukturen des Amtes haben nach Ansicht der Untersuchungsgruppe auch zu gravierenden Kommunikationsmängeln zwischen den Geheimen geführt. Die Folge davon sei eine „riesige informelle Informations- und Spekulationsbörse“ gewesen, an der sich „fast alle Mitarbeiter beteiligten“. Das habe in den letzten Jahren zunehmend zu gegenseitigen Verdächtigungen und Bespitzelungen untereinander geführt und innerhalb des Amtes Freund-Feind-Verhältnisse aufgebaut. Das Ergebnis dieser internen Situation ist so erfreulich wie bekannt: Die Effizienz der Berliner Spitzelbehörde ist gleich Null. Selbst der ehemalige Regierende Bürgermeister Diepgen, unter dessen politischer Verantwortung sich das amtliche Desaster vollzog, mußte bereits im Januar dieses Jahres praktisch einen Offenbarungseid leisten. „Ich mache keinen Hehl aus meiner Meinung“, so der Ex-Regierende, „daß ein großer Teil der Mitarbeiter des Landesamtes besser ihre Tätigkeit in einem anderen Bereich der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen sollten. Ich glaube nicht, daß ein Amt in dieser Organisationsform, in dieser Größenordnung und in dieser Arbeitsweise richtig ist.“ Die Konspiration zwischen Geheimdienst und CDU-Regierung war gescheitert.

„Rechtspflege schweren

Schaden zugefügt“

Der gravierendste Fall aus der Geschichte des Berliner Landesamtes, zu dem die Kommission auch einen speziellen Untersuchungsauftrag hatte, ist der Mordfall Schmücker. Die Verwicklung des VS in den Mord an dem Studenten 1974 im Grunewald hat zum bislang längsten Prozeß in der bundesdeutschen Justizgeschichte geführt und steht zur Zeit vor seiner dritten Verhandlungsrunde. Mit seiner vehementen Weigerung gegen jede Offenlegung interner Vorgänge hat das Amt „der deutschen Rechtspflege einen schweren Schaden zugefügt. Es hat in Kauf genommen, daß das Amt in den Verdacht kommen mußte, kriminelle Handlungen zu unterstützen.“ „Im Mordfall Schmücker ist deutlich geworden, daß (darüber hinaus) eine Manipulation der Staatsanwaltschaft durch den Verfassungsschutz zumindest nicht auszuschließen ist!“ Die Untersuchungsgruppe bestätigt auch bereits früher kursierende Vermutungen über den enormen Aufwand, den das Landesamt betrieben hat, um seine Verwicklungen in den Fall Schmücker zu vertuschen. So flossen allein zum Schutz „eines einzelnen geheimen Mitarbeiters und seines Kontaktmannes im Amt weit über eine Million DM“. Im Haushaltsjahr 1986/87 wurden für einen ehemaligen geheimen Mitarbeiter aus dem Schmücker -Zusammenhang zwei Drittel der Summe ausgegeben, die dem Amt jährlich für die „Informationsbeschaffung insgesamt zur Verfügung steht“.

Zum Komplex Schmücker hat die „Projektgruppe“ fünf Einzelberichte vorbereitet, die im September dem Parlamentsausschuß Verfassungsschutz vorgelegt werden sollen. Diese Berichte werden wohl auch die Grundlage für den parlamentarischen Untersuchungsausschuß „Schmücker“ bilden, auf den die Fraktionen sich bereits vor der Sommerpause verständigt hatten. Doch auch damit wird die Qual für „das Amt“ nicht beendet sein. Ebenfalls für den Herbst ist ein weiterer Untersuchungsausschuß projektiert, der dem Komplex Parteien- und Journalistenbespitzelung nachgehen wird. Für die Arbeit des Amtes, davon gehen selbst Pessimisten aus, wird die öffentliche Diskussion um Sinn und Unsinn eines Verfassungsschutzes nicht ohne weitgehende Konsequenzen bleiben. Bereits jetzt haben „Projektgruppe“ und Datenschutzbeauftragter, der ebenfalls in der letzten Woche einen Prüfbericht ablieferte, angeregt, für das Amt zukünftig eine straffe Fachaufsicht einzuführen. Darüber hinaus werden rigide Richtlinien für Datenerfassung und -löschung entwickelt, deren Einhaltung ein Datenschutzbeauftragter im Amt überprüfen soll. „Das düstere Erscheinungsbild des Amtes“, so die Projektgruppe, „macht möglicherweise auch ungewöhnliche Maßnahmen erforderlich, um dem Berliner Verfassungsschutz wieder eine neue Verfassung zu geben.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen