Endlösung Tibet-betr.: China-Berichterstattung

betr.: China-Berichterstattung

(...)Die menschenverachtende Art, mit welcher die chinesische Regierung und ihre Armee den friedlichen Protest ihrer Bevölkerung niederschlugen, hat uns TibeterInnen nicht sehr überrascht. Genau die Leute, welche in Peking ihren Truppen diesen irrsinnigen Befehl gaben, haben in Tibet seit 30 Jahren mit noch schlimmerer Repression den tibetischen Freiheitskampf unterdrückt.

Im 40. Jahr der völkerrechtswidrigen Besetzung Tibets und im 30. Jahr der blutigen Niederschlagung des tibetischen Volksaufstandes durch die chinesische „Volksbefreiungsarmee“ können wir eine Bilanz des Schreckens und des Terrors ziehen. Über 1,2 Millionen TibeterInnen sind in direkter Folge der chinesischen Besetzung umgekommen. Ökologischer Raubbau an der Natur hat große Teile Tibets unwiderruflich verwüstet. Über 300.000 Soldaten der Volksbefreiungsarmee sind in Tibet stationiert. In der Gegend von Nagchuka sind atomare Mittel- und Langstreckenraketen aufgestellt worden, die die einstmals friedliche Region und ihre südostasiatischen Nachbarstaaten in Gefahrenzonen militärischer Instabilität verwandelt haben. Seit der Besetzung Tibets im Jahre 1949 sind über 6.000 Klöster früher einmal die Universitäten und Bildungszentren Tibets völlig zerstört worden. Mit einer gezielten Überfremdungspolitik wird nun seit Anfang der 80er Jahre versucht, eine Endlösung des Tibet-Problems anzustreben. Seit der Besetzung Tibets sind über sieben Millionen chinesische Siedler nach Tibet gebracht worden und stellen schon heute eine Mehrheit gegenüber den sechs Millionen TibeterInnen. Den TibeterInnen droht das gleiche Schicksal wie den Eingeborenen Nordamerikas oder den Aborigines in Australien.

Am 8. März 1989 wurde über Tibet das Kriegsrecht verhängt und dauert noch immer an. Man muß keine große Vorstellungskraft besitzen, um zu erahnen, wie die Menschen in Tibet, wo alle Ausländer und Touristen des Landes verwiesen worden sind, unter der Repression zu leiden haben, wenn in Peking und anderen Städten Chinas vor den Kameras der Journalisten aus aller Welt Menschen von Panzern niedergewalzt, fliehende Kinder und Frauen von wildgewordenen Soldaten heimtückisch erschossen werden.

Unser Kampf für die Unabhängigkeit Tibets richtet sich nicht gegen das chinesische Volk. Was wir anstreben, ist unser legitimes Recht, in Freiheit unsere Zukunft selbst zu bestimmen und zu gestalten. Es ist die gleiche Propagandamaschine, die die Studentenbewegung als konterrevolutionäre Minderheit schmipfte, die unaufhörlich die absurde Vorstellung zu erzeugen versucht, daß die Tibeter eine „Leibeigenen-Gesellschaft“ herstellen wollen. Daß unsere alte Gesellschaftsform ungerecht war, haben wir längst erkannt. Wir haben eine klare Vision, wie zukünftig ein unabhängiges und sozial gerechtes Tibet aussehen soll. Tibet soll zu einer entmilitarisierten Friedenszone im Herzen Asiens werden, wo Mensch und Natur wieder in Einklang zusammenleben sollen. Tibet soll ein Land werden, wo Menschen frei und ohne Angst ihre demokratischen Rechte ausüben können.

In den letzten Jahren drohte das Tibet-Problem in Vergessenheit zu geraten.

(...) Selbst nach so vielen Wochen ist eine gewisse Unklarheit vorhanden, was die chinesischen StudentInnen fordern, was für eine zukünftige Gesellschaft sie sich wünschen und was sie unter politischen Reformen verstehen. (...)

Wir sind überzeugt, daß sowohl uns TibeterInnen als auch den reformistischen Kräften in China eine lange Zeit der Auseinandersetzungen und der Veränderungen bevorsteht. Umso wichtiger ist es, daß die studentische Bewegung in China lernt, politische Inhalte zu formulieren. Ziel sollte es sein, ein umfassendes politisches Programm zu erstellen. Die neue Amerikabegeisterung macht mich aber ein wenig stutzig und ich frage mich, wo diese Protestbewegung ihre historischen Wurzeln sieht und ob sie fähig sein wird, mit der breiten Bevölkerung gemeinsame Zielvorstellungen zu formulieren, die über Retuschen an der gegenwärtigen korrupten Ordnung hinausgehen.

Damit diese Studentenbewegung auch moralische Glaubwürdigkeit und den von uns allen erwünschten Erfolg erreichen kann, muß sie sich früher oder später mit Fragen wie dem Selbstbestimmungsrecht anderer Völker befassen. Nicht zuletzt in der Tibet-Frage wird sich erweisen, ob mit den Studentenunruhen in China eine neue Qualität des Denkens entstanden ist.

Wangpo Tethong, Präsident des Vereins Tibeter Jugend in Europa