piwik no script img

Von der Damengalerie ins Irrenhaus

■ Als „Muse der Demokratie“ wurde Theroigne de Mericourt zu Beginn der Revolution gefeiert / Als sie forderte, auch Frauen sollten das Recht haben, Waffen zu tragen, wurde sie wegen „Unruhestiftung“ angezeigt / Tod im Irrenhaus

Birgit Schönberger

Nachdem die Kunde von der französischen Revolution zu ihr gedrungen war“, sagte Theroigne de Mericourt ihrem Liebhaber und ihrer Karriere als Sängerin in London ade und reiste nach Paris, um dort das Revolutionsspektakel vor Ort zu verfolgen. „Ich beschloß, durch Frankreich zu fahren und Zeuge eines so großartigen Schauspiels zu werden.“ Innerhalb kürzester Zeit erreichte sie, die den Abgeordneten in der Nationalversammlung durch ihre regelmäßige Anwesenheit auf der „Damengalerie“ auffiel, eine bemerkenswerte Publizität. Als „Freudenmädchen der Nation“, als „Muse der Demokratie“ und „Jeanne d'Arc der Revolution“ geißelte und feierte sie die Presse in den ersten beiden Revolutionsjahren. Wie keine andere Frau zu ihrer Zeit regte sie die Phantasie ihrer männlichen Zeitgenossen an. Die gesammelte Literaturprominenz der Revolutionsjahre fühlte sich bemüßigt, ihr wenigstens ein paar Zeilen, wenn nicht sogar ganze Legenden zu widmen. Bei Baudelaire tauchte sie als Revolutionsheldin auf. „Saht Ihr die Mericourt, verliebt in Blut und Morden der Romantiker.“ Lamartine ließ sie gar „Paris entflammen“ und die Erste beim Sturm auf die Bastille sein. Lamartine verbreitete auch die Legende der „schönen Liegoise, die sich mit Leidenschaft in die Bewegungen stürzte, am 12.Juli bei dem Auftritt vor dem Palais Royal dabei war, wo Camille Desmoulins das Volk zu den Waffen rief und anderntags die Menge zum Place aux Invalides führte, um dort die Waffen zu besorgen.“

So war sie, kaum in Paris angekommen, schon zu einem Mythos geworden. Von den Jakobinern enthusiastisch zur Volksheldin und zum Symbol der Freiheit gekürt, wurde sie von den Royalisten als Rädelsführerin aller Komplotte gegen den König und als abgefeimte verräterische Hure diffamiert. Inwieweit sie tatsächlich an den revolutionären Aktionen beteiligt war, ist nicht sicher zu sagen. Wahrscheinlich ist jedoch ihr Debüt als Revolutionärin längst nicht so spektakulär gewesen, wie die zahlreichen Legenden glauben machen, die sie gleichzeitig an mehreren Orten als Rädelsführerin im Amazonenkostüm, mit Pistole und Säbel auftreten lassen. Das lassen jedenfalls ihre Aussagen, die sie in den Confessions, ihrer Autobiographie, gemacht hat, vermuten. „Als ich nach Paris kam, wohnte ich zunächst im Hotel Toulouse. Ich beschäftigte mich mit Musik und der Lektüre der Tagesblätter. Obwohl ich nichts verstand, steckte mich die allgemeine Aufregung an. Ich hatte keinerlei Vorstellung von den Rechten des Volkes, aber ich liebte die Freiheit von Natur aus. Ein Instinkt, ein ganz besonders lebhaftes Gefühl ließ mich die französische Revolution gutheißen, ohne genau zu wissen, warum.“

Schon zu Lebzeiten ein Mythos

Das klingt nicht gerade nach einer eiskalten und mordlustigen Revolutionärin. Der Schriftsteller Quinet schrieb, daß es gerade diese in den Confessions zum Ausdruck kommende Naivität in Verbindung mit ihrem in männlichen Augen „rührend“ wirkenden revolutionären Eifer war, die sie schon zu Lebzeiten zu einem Mythos werden ließ, zu einer Projektionsfläche männlicher Phantasien. Sie bot sich dafür an, weil sie ungewöhnlich war und aus dem Rahmen fiel. „Es ist nicht die Schönheit, die die Massen beeindruckt, es ist das Außergewöhnliche“ (Quinet). Das Außergewöhnliche an ihr: Sie kam als junge Frau alleine nach Paris, ohne Ehemann, ohne Familie, sie lebte offensichtlich als Kurtisane, was ihr den Ruf einbrachte, die Männer und vor allem deren Vermögen reihenweise zu ruinieren. Vom Marquis de Persan bezog sie eine jährliche Rente, bei ihr gingen führende Künstler und Intellektuelle ein und aus, sie mischte sich ins revolutionäre Geschehen ein, verfaßte Petitionen, ergriff in der Nationalversammlung das Wort und erdreistete sich sogar, das Stimmrecht für sich zu fordern. Sie wollte heraus aus der Isolation als Frau inmitten einer Männerwelt, suchte den Kontakt zu führenden Revolutionären und machte ihre Wohnung, das Hotel Grenoble, zu einem Treffpunkt für Revolutionäre. Camille Desmoulins, Brissot und Sieyes ließen sich von ihr empfangen und lernten sie als glühende Patriotin kennen, die mit aller Kraft für eine bessere Gesellschaft kämpfen wollte. „Hier werden die Unternehmungen der Aristokratie vereitelt und die Anträge vorbereitet, denen die Bewunderung der Hauptstadt und das Erstaunen der Provinz gilt“, so rühmte Baulieu den Salon der Mericourt in seiner Geschichte der Revolution. Zahlreiche Reden, die Sieyes und andere Abgeordnete in der Nationalversammlung hielten, hat Theroigne de Mericourt selbst geschrieben oder beeinflußt.

Doch sie wollte sich nicht mit dieser Rolle als Muse und Salonrevolutionärin begnügen. Im Januar 1790 gründete sie gemeinsam mit dem Mathematiker und Abgeordneten Gilbert Romme den Club „Freunde des Gesetzes“. Aus dem Bewußtsein ihrer eigenen Naivität und Unwissenheit heraus - „Ich hatte keinerlei Bildung, und das wenige, was ich weiß, lernte ich allmählich in der Nationalversammlung“ - formulierte sie für die „Freunde des Gesetzes“ ein sehr ehrgeiziges Programm: „Das Volk in die Würde seiner Rechte versetzen, es über seine wahren Interessen aufklären... ihm die Vorteile der Revolution darlegen, die tägliche Arbeit in der Nationalversammlung transparent machen...“ Diese Zielsetzung wurde vielerseits als realitätsfremd verspottet und führte schließlich zur Auflösung des Clubs nach wenigen Sitzungen. Nachdem auch Theroignes Versuch, einen zweiten Club zu gründen, gescheitert war, wandelte sich ihre anfängliche Begeisterung für die Revolution allmählich in Enttäuschung. „Was mich am meisten beeindruckte, war die Atmosphäre allgemeiner Solidarität. Der Egoismus schien aus allen Herzen verbannt, es gab keine Klassenunterschiede mehr... Jeder hatte den Mut, sich öffentlich so zu geben und zu zeigen, wie er war“, schrieb sie zu Beginn der Revolution.

Sie vergaß dabei jedoch die größte Hürde, die sie zu nehmen hatte. Sie war eine Frau. Und die von ihr so begeistert aufgenommene Solidarität entpuppte sich als reine Männersolidarität. Sie begann die „Stärke des männlichen Hochmuts und der männlichen Vorurteile“ zu spüren. Täglich überhäuften die Aristokraten sie mit spöttischen Bemerkungen. Am meisten zeigte sie sich jedoch von ihren vermeintlichen Gesinnungsgenossen enttäuscht: „Und sogar einige Patrioten machten mich lächerlich, anstatt mich zu ermutigen und zu verteidigen.“ Resigniert mußte sie resümieren: „Ich bin in all meinen Bestrebungen nur von der Liebe zum Guten und dem Wunsch, dem Vaterland zu dienen, geleitet worden, aber ich hatte dafür weder genügend Talent noch Erfahrung, und ich war eine Frau.“ Beispiellose Hetzkampagne

Im Mai 1790 kehrt sie in ihre Heimat nach Liege in Belgien zurück. In ihrer Abwesenheit wurde sie als „Heldin des Oktoberaufstandes“ zur Verhaftung ausgeschrieben. Man warf ihr vor, den Zug der Frauen nach Versailles angeführt zu haben. Theroignes autobiographischen Berichten zufolge war sie jedoch an den Ereignissen des 5. und 6.Oktobers gar nicht beteiligt. Den Royalisten war sie aber inzwischen so gefährlich geworden, daß sie eine beispiellose Hetzkampagne gegen Theroigne starteten. Sie klagten sie an, an den angeblichen Attentatsplänen gegen die Königin Marie -Antoinette beteiligt gewesen zu sein. Unter diesem Vorwand wurde sie auch im Januar 1791 mit Zustimmung der österreichischen Regierung von französischen Offizieren in der Nähe von Lüttich entführt und unter falschem Namen zur Festung Kufstein gebracht. Offiziell des Hochverrats angeklagt, wurde sie jedoch genauestens über die revolutionären Ereignisse in Frankreich und Belgien befragt.

Offensichtlich sollte sie als Informantin für die Interessen der Konterrevolution benutzt werden. Während des Verhörs, in dem sie einerseits unter dem Druck stand, sich und andere so gut wie möglich zu entlasten, andererseits aber auch keinen Hehl aus ihrer revolutionären Gesinnung zu machen, verteidigte sie sich geschickt. Ihre Autobiographie, die sie während der Gefangenschaft in der Überzeugung verfaßte, daß man ihr nichts Strafbares nachweisen könne, gilt als sehr glaubwürdig (Sie ist inzwischen unter dem Titel Theroigne de Mericourt - Aufzeichnungen aus der Gefangenschaft im Residenz-Verlag erschienen).

Im November 1791 wurde sie aus dem Gefängnis entlassen. Die Generalamnestie vom 15.September erlaubte ihr, gleich nach Paris zurückzukehren, wo sie von den Jakobinern feierlich als „Heldin der Freiheit“ empfangen wurde. „Ich verkünde einen Sieg des Patriotismus. Mademoiselle Theroigne de Mericourt, berühmt durch ihren Bürgersinn und die Verfolgungen, die sie ausgetragen hat, ist hier auf der Tribüne der Damen anwesend“, so rühmte der Vorsitzende der Versammlung ihre Verdienste um das Vaterland. Der Abgeordnete Brissot benutzte Theroignes Bericht über ihre Verfolgungen, um erneut eine flammende Rede für den Krieg gegen die Konterrevolutionäre zu halten. Mit neuem Elan stürzte Theroigne sich ins politische Geschehen und ließ sich durch die allgemeine Kriegsbegeisterung anstecken. Im März 1792 forderte sie, daß „auch Frauen das Recht haben sollten, für die Freiheit zu sterben“ und setzte sich für die Bildung von Amazonenlegionen ein. „Französinnen, ich wiederhole, erheben wir uns zur Höhe unseres Schicksals, brechen wir unsere Ketten, es ist endlich Zeit, daß die Frauen aus ihrer Nichtigkeit herausfinden, in der die Unwissenheit, der Stolz und die Ungerechtigkeit der Männer sie seit langer Zeit gefangen halten.“

Als Theroigne versuchte, die Frauen aus dem Faubourg Saint -Antoine für ihre Ideen zu mobilisieren und öffentlich zur Gründung eines „Volksclubs bewaffneter Frauen“ aufrief, war es mit der Begeisterung der Jakobiner für ihren Bürgersinn aber schnell vorbei. Diesmal war sie entschieden zu weit gegangen. Sie wurde wegen „Unruhestiftung“ angezeigt und prompt vom Vorsitzenden der Jakobinerversammlung in ihre „natürlichen“ Schranken verwiesen. „Wenn die Männer in diesem Vorort von der Arbeit nach Hause kommen, wollen sie lieber ihr Heim in Ordnung vorfinden, als ihre Frauen von einer Versammlung zurückkehren sehen, wo sie nicht gerade Sanftmut lernen.“ Und die für ihren Antifeminismus bekannte Zeitung 'Revolution de Paris‘ sah sich genötigt, den Wirkungsbereich der Frau noch einmal ganz klar abzugrenzen: „... die Sorgen des Ehemanns zu mildern, die Kinder zu ernähren, das sind die einzigen und wahren Pflichten der Frau. Die Frau ist nur im Haushalt, in ihrer Familie, am richtigen Platz. Von allem, was sich außerhalb des Hauses abspielt, soll sie nur so viel mitbekommen, wie es ihre Eltern und ihr Ehemann für notwendig erachten.“ Mit ihrer Propaganda für eine weibliche Armee machte Theroigne de Mericourt sich Robespierre, den einflußreichsten Mann im Konvent, zum Feind, was ihr schließlich zum Verhängnis werden sollte.

Auch bei den Frauen im Konvent, die in der Mehrzahl glühende Anhängerinnen Robespierres waren, stieß sie auf Ablehnung. Ähnlich wie bei Olympe de Gouges blieb Theroignes Verhältnis zu den Frauen, deren Fürsprecherin sie ja eigentlich sein wollte, immer sehr distanziert. Die Frauen in Paris waren zu sehr mit den Brotpreisen und der Frage, wie sie ihre Familien durchbringen sollten, beschäftigt und vertrauten dabei mehr auf Rose Lacombe und Pauline Leon, die Gründerinnen der „Gesellschaft der revolutionären Republikanerinnen“. Was eine Zusammenarbeit völlig unmöglich machte, war Theroignes öffentliches Sympathisieren mit der Partei der Gironde, deren Anhänger für ein gemäßigtes Republikanertum mit Privateigentum und Selbstverwaltung eintraten, was zu erbitterten und blutigen Auseinandersetzungen mit der im Konvent dominierenden Bergpartei unter Führung Robespierres führte. Theroigne versuchte, als Vermittlerin in den eskalierenden Konflikt einzugreifen und rief alle Patrioten zur Einheit auf. „Bürger, Ihr seid verloren, wenn Ihr nicht verhindert, daß derartige Szenen sich wiederholen.“ Sie schlug vor, daß Frauen als Schlichterinnen in die Kämpfe zwischen den beiden Sektionen eingreifen und die Männer zur Solidarität mahnen sollten.

Von Frauen verprügelt

Am 15.Mai wurde sie als Anhängerin der Gironde und „schmutzige Brissotine“ von aufgebrachten Frauen des Clubs der „republikanischen und revolutionären Frauen“ vor dem Konvent verprügelt. „Eine Heldin der Revolution hat vorgestern einen Mißerfolg auf der Terrasse der Feuillants erlitten. Mademoiselle Theroigne, so sagt man, versuchte, Frauen anzuwerben, unglücklicherweise wandte sie sich an die Ergebenen Robespierres und Marats, die sie ergriffen und auspeitschten. Die Wache kam und entriß sie der Wut dieser Furien. Marat selber, der vorbeiging, nahm das Opfer in seine Obhut“, so meldete der 'Courrier des Departements‘ schadenfroh das Ereignis. Danach wurde es still um Theroigne de Mericourt. Im Juni 1794 beschlagnahmte man plötzlich aus Gründen, die nicht näher erläutert wurden, ihre Schriften und ließ sie als „Verdächtige“ verhaften. Ihr Bruder unternahm einen zweifelhaften Versuch, sie zu retten, und erklärte, daß seine Schwester „sich im Zustand der Verrücktheit befindet, so daß sie nicht mehr selbstverantwortlich handeln und ihre Interessen vertreten kann“. Aus dem Gefängnis entlassen, wurde Theroigne, die ohne jeden Kontakt zur Außenwelt lebte und schließlich unter völligem Realitätsverlust zu leiden begann, in die Salpetriere, ein Haus für alte Frauen und Geisteskranke, gebracht. Dort verbrachte sie in völliger Isolation und unter menschenunwürdigen Bedingungen die letzten 18 Jahre ihres Lebens. Am 8.Juni 1817 starb sie.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen