piwik no script img

Wer zählt zum deutschen Widerstand

Der historische Kompromiß des Nachkriegsdeutschlands zum 20. Juli ist geplatzt / Ein Brief der Stauffenberg-Familie an Walter Momper  ■ D O K U M E N T A T I O N

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister,

Ende letzten Jahres wurden Pläne bekannt, das „Nationalkomitee Freies Deutschland“ (NKFD) und den „Bund Deutscher Offiziere“ (BDO) in die Gedenkstätte Deutscher Widerstand an der Stauffenbergstraße in Berlin einzubeziehen.

Der mitunterzeichnete Franz Ludwig Graf Stauffenberg MdEP hat Ihren Amtsvorgänger, Herrn Eberhard Diepgen, mit Schreiben vom 15.11. 1988 eindringlich gebeten, korrigierend einzugreifen. Wie wir erfahren, haben NKFD und BDO aber nun doch Eingang in die Ausstellung im „Bendlerblock“ gefunden.

Wir stellen nachdrücklich fest, daß wir mit dieser Entwicklung nicht einverstanden, ja, über sie empört sind. Maßgebend dafür sind hauptsächlich zwei Gründe:

1. Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand an der Stauffenbergstraße ist eben dies: eine Stätte des Gedenkens im ehrenden Sinne. Übergreifende historische Forschung und Dokumentation können und müssen an anderer Stelle erfolgen. Ihre Vermischung mit der Gedenkstätte kann bei vielen Besuchern, bei denen ja nicht immer umfassende historische Bildung vorausgesetzt werden kann, zu Mißverständnissen führen, was nur den Böswilligen willkommen sein kann.

2. Das Selbstverständnis des deutschen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, wie er sich vornehmlich im Attentatsversuch des 20.Juli 1944 manifestiert hat, hatte mit dem des NKFD und des BDO nichts zu tun:

-die im Widerstand Aktiven waren sich trotz unterschiedlicher politischer Herkunft - ob konservativ, christlich oder sozialdemokratisch - und trotz Meinungsunterschieden über das Vorgehen in ihrer Gegnerschaft gegen einen totalitären Unrechts- und Willkürstaat jedweder Prägung einig. Gerade auch die Sozialdemokraten hatten bereits vor dem „Dritten Reich“ nicht nur die Nationasozialisten, sondern auch die bolschewistisch gleichgeschaltete KPD aktiv bekämpft. Der Widerstand kämpfte also nicht gegen das Unrecht nur einer Couleur, sondern für das Recht um des Rechtes willen.

-Der deutsche Widerstand hat sich stets als Kampf von innen verstanden. Seine Angehörigen haben persönliche Risiken bewußt in Kauf genommen, insbesondere die vielen unter ihnen, die die Erfolgsaussichten ihres Kampfes pessimistisch beurteilen. Nicht jeder „Kampf gegen den Nationalsozialismus“ kann deshalb auch als „Widerstand“ gelten.

Für die deutschen Kriegsgefangenen in der UdSSR, die dem NKFD und dem BDO, aus welchen Motiven auch immer, beitraten, trifft jedoch objektiv keines dieser beiden Kriterien zu. Einmal haben sie sich - ob bewußt, aus Naivität oder aus Opportunismus - zwar gegen den einen totalitären Unrechtsstaat, zugleich aber für einen anderen entschieden. Zum anderen haben sie mit ihrer Entscheidung kein persönliches Risiko auf sich genommen - höchstens aus sicherer Entfernung eines für ihre in Deutschland lebenden Angehörigen geschaffen. Sie haben vielmehr eine Verbesserung ihrer persönlichen Lage gegenüber ihren Mitgefangenen zumindest billigend in Kauf genommen. Symptomatisch ist auch, daß sich von den durchaus nicht wenigen, die schon vorher Gegner des Nationalsozialismus gewesen waren, kaum einer dem NKFD/BDO angeschlossen hat (es sei denn, er war schon Kommunist), auch nicht, nachdem nahe Verwandte vom NS -Regime verfolgt wurden. Ferner ist nur ein einziger Fall bekannt, daß ein Mitverschwörer nach dem 20.Juli 1944 zu den Sowjets übergegangen ist. Ein Henning von Tresckow hätte die Möglichkeit dazu gehabt, Er hat aber den Freitod gewählt.

Unabhängig davon, daß NKFD und BDO nicht Teil des deutschen Widerstandes im Sinne obiger Definition waren, dürfte auch feststehen, daß sie zu diesem nicht nur nichts beigetragen, sondern im Gegenteil ihm bei vielen bis hin zur Diskreditierung geschadet haben. Nicht wenige Kriegsgefangene, die zuvor dem Nationalsozialismus indifferent oder sogar ablehnend gegenüberstanden, wurden erst durch das Auftreten und Verhalten von NKFD und BDO zu überzeugten Nationalisten, die erst nach dem Kriege ihren Irrtum erkannten.

Die Männer und Frauen des deutschen Widerstandes „trugen die Schande nicht“ und starben für unser aller Zukunft. Sie erwarteten wenig von ihren Zeitgenossen und sicherlich keine Denkmäler von ihren Nachfahren. Wenn diese sie ihnen trotzdem setzen, dann sollten sie sie ihrem Andenken vorbehalten.

Der Senat von Berlin ist Träger und Treuhänder der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Wir bitten Sie daher eindringlich, das Andenken der deutschen Widerstandskämpfer zu schützen und die Bereiche NKFD und BDO aus der Ausstellung herauszunehmen. Solange diese sich dort befinden, halten wir die Gedenkstätte für verfälscht und politisch mißbraucht. Mit freundlichen Grüße

Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg, Berthold Schenk Graf von Stauffenberg, Heimeran Schenk Graf von Stauffenberg, Franz Ludwig Schenk Graf von Stauffenberg, Konstanze von Schulthess Rechberg, geb. Schenk Gräfin von Stauffenberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen