piwik no script img

Die Kunst des Erbsenzählens

Der eine und der andere Widerstand  ■ G A S T K O M M E N T A R

Der Gedenkeklat von West-Berlin offenbart fünfzig Jahre nach Kriegsbeginn die bundesdeutsche Uneinigkeit in der Frage des Widerstands, der auf den 20.Juli 1944 verkürzt werden soll.

Auszuschließen seien unter anderem das Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) und der Bund des Offiziere (BDO), weil diese Kriegsgefangenen nur sowjetischen Interessen dienten.

Ein Artikel in der gestrigen Ausgabe der 'Zeit‘ von Marion Gräfin Dönhoff illustriert, das es sich, sehen wir von der Deserteurfrage ab, um einen Oberklassenkonflikt handelt. Die einen Grafen und Generale werfen den anderen Generalen und Grafen vor, keine Widerständler gewesen zu sein. Die Aufzählung der Opfer in der 'Zeit‘ wird zu Deutschreichs Who's who.

Daß vom 30.Januar 1933 bis zum 20.Juli 1944 zigtausend antinazistische Nichtoffiziere umgebracht wurden, fällt als Lapalie untern Schreibtisch. Blut hat blau zu sein, wenn diese Bundesrepublik sich erinnernd verneigt.

Wer also ist Widerständler? Wer widerstanden hat. Im NKFD und BDO gab es wie anderswo Widerständler, Opportunisten, Karrieristen. Derlei exakter auszudrücken besitzt ein Land eine Literatur. Da unsere sich darum drückt, behelfen wir uns mit Gedenkstätten. Seltsamerweise wollen nun die Nachkommen der Offiziere vom 20. Juli zusammen mit den Offizieren, die wie Dregger bis fünf nach zwölf Eid und Fahne hochhielten, das NKFD und den BDO vom Sockel stürzen.

Wenn das Nationalkomitee zum Widerstand zähle, zähle auch Walter Ulbricht dazu, warnen sie. Was also ist mit Ulbricht? Er war Deserteur des Ersten Weltkriegs, dann Kommunist, Antinazi, beim Hitler-Stalin-Pakt gehorsamer Parteisoldat, nach 1945 Unterdrücker, Diktator, Todesengel.

Das wäre er nicht geworden, wenn die Widerständler vom 20.Juli 1944 schon 1934 beim sogenannten Röhm-Putsch, statt zu triumphieren, Widerstand geleistet oder bei Hindenburgs Tod den Eid auf ihren Anführer verweigerten hätten. Die im Jahre 1944 Hingerichteten wuschen ihre Schuld mit dem eigenen Blut ab. Sie sollen geehrt werden. Ihre Nachkommen gefallen sich im Erbsenzählen: Die Guten aufs Denkmalpodest, die Bösen an den Pranger.

Für exekutierte Deserteure kein Denkmal, sagt Frau Gräfin Dönhoff und ließ sich vom Freiburger Institut 15.000 aufzählen. Es waren aber mindestens doppelt soviel. Ab Herbst 44 wurden Exekutionen nicht mehr registriert. Wozu auch, sind doch meist nur einfache Leute gewesen.

Gerhard Zwerenz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen